"Man hat aus der letzten Krise nichts gelernt"
Die Börsenkurse befinden sich im Sinkflug, die Aktienwerte stürzen teils dramatisch ab. Der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Frank E. W. Zschaler kritisiert, dass der Ordnungsrahmen der Finanzmärkte nach der internationalen Finanzkrise 2008 nicht ausreichend verändert worden sei. "Gewisse Anreizsysteme, die individuell unethisches Verhalten fördern, wurden nicht abgeschafft", kritisiert der Hochschullehrer der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Er erwartet aber keine negativen Auswirkungen der Börsenturbulenzen auf den Arbeitsmarkt.
10.08.2011
Die Fragen stellte Daniel Staffen-Quandt

Große Unternehmen wie Adidas und BMW machen Rekordumsätze, ihre Aktien aber verlieren an Wert. Wie viel hat die Papierwirtschaft an den Börsen noch mit der Realwirtschaft zu tun?

Frank E. W. Zschaler: Langfristig gesehen bemisst sich der Wert von Aktien an den Finanzmärkten auch an realwirtschaftlichen Komponenten. Insofern ist die Entwicklung auf lange Sicht ethisch weniger problematisch.

Die Auf- und Ab-Bewegungen der Wirtschaft finden immer schneller und heftiger statt. Müssen wir uns damit abfinden?

Zschaler: Derzeit kommen ja besondere Entwicklungen zusammen, die 2007 und 2008 nicht vorauszusehen waren - vor allem die europäische Schulden- und Währungskrise. Meiner Meinung nach besteht ein ganz grundsätzliches Problem darin, dass man aus der letzten Krise nichts gelernt hat. Der Ordnungsrahmen unserer Wirtschaft wurde nicht so verändert, wie es nötig gewesen wäre. Gewisse Anreizsysteme, die individuell unethisches Verhalten fördern, wurden nicht abgeschafft.

Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen den Haushaltsbeschlüssen der USA vom 1. August und den Turbulenzen an den internatonalen und deutschen Finanzmärkten?

Zschaler: Der Zusammenhang ist durchaus da, die Schuldenkrise der USA ist aber nicht der einzige Grund für die Talfahrt an den Börsen. Es wurden ja zum Beispiel auch die Konjunkturprognosen gesenkt - das führt zusammen mit der schlechter eingestuften Bonität der USA bei Anlegern dazu, dass sie nicht mehr investieren wollen. Es gibt einen Zusammenhang, aber der ist nicht zwingend. Man muss ja auch mal sagen, dass die Staatsanleihen der USA trotz der minimalen Abstufung der Bonität noch immer sehr, sehr hochwertige Papiere sind.

Wird die aktuelle Krise so heftig wie die letzte nach der Pleite der Lehman Brothers im September 2008?

Zschaler: Das glaube ich nicht. Das ist aber auch nur meine persönliche Meinung. Die Märkte haben gewisse Eigengesetzlichkeiten, so dass man das definitive Ausmaß nicht mit letzter Gewissheit voraussagen kann.

Welche Auswirkungen wird die Börsenkrise auf den deutschen Normalverbraucher haben?

Zschaler: Für den wird das ganze wohl neutral ausgehen.

Hat diese neue Krise nicht aber auch das Potenzial, sich auf die Realwirtschaft auszuwirken - und somit auch auf den Arbeitsmarkt, was den Normalverdiener dann doch betreffen würde?

Zschaler: Ich nehme zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht an, dass es zu einem so tiefen Rutsch an den Börsen kommt, dass der Auswirkungen auf die Realwirtschaft hat.

Sollten sich die Kirchen in die Debatte um die Regulierung der internationalen Finanzmärkte stärker einschalten?

Zschaler: Selbstverständlich! Die Kirchen sind wichtige Akteure der Zivilgesellschaft, ihr Wort hat Gewicht. Die beiden großen christlichen Kirchen haben das ja auch bislang schon getan und werden es auch weiterhin tun.

Was erwarten Sie inhaltlich von den Kirchen in dieser Debatte?

Zschaler: Ich erwarte durchaus einen stärkeren Hinweis darauf, dass wir in unserer Gesellschaft neben den materiellen Dingen andere Werte stärken sollten - nämlich die, die unsere Gesellschaft bestimmen. Ich erwarte, dass die Kirchen durch ihr Wort mit dazu beitragen, dass wir es schaffen, unsere Wirtschaftsordnung der sozialen Marktwirtschaft durch institutionelle ethische Regeln zu stabilisieren.

Auch die christlichen Kirchen haben in letzten Finanzkrise viel Geld durch Fehlinvestitionen verloren. Haben die Kirchen überhaupt die Expertise, der Politik und der Wirtschaft Ratschläge zu erteilen?

Zschaler: Natürlich sind auch bei den Kirchen Vermögenswerte durch Fehlinvestitionen verloren gegangen. Aber wer hat denn in der letzten Krise nichts verloren? Aus diesem Blickwinkel heraus dürfte praktisch niemand Expertisen erteilen.

Wie ernst werden die christlichen Kirchen in Bevölkerung und von der Politik in so einer Debatte genommen?

Zschaler: Die Religiosität ist in den vergangenen Jahren zwar deutlich zurückgegangen. Ich glaube aber, dass man von den Kirchen erwartet, dass sie sich zu solchen Fragestellungen ganz dezidiert äußern. Das erwarten übrigens auch Menschen, die kirchlich nicht gebunden sind.

Sollten sich die Kirchen eventuell auch einem öffentlichen Protest der Bürger gegen die unzureichend geregelten Finanzmärkte anschließen oder sie zumindest unterstützen?

Zschaler: Ich fände es besser, wenn es eine öffentlich geführte Diskussion gibt, in der man sich intensiv, ernsthaft und konträr über diese Fragen austauscht. Öffentliche Proteste halte ich für wenig zielführend. Eine Zivilgesellschaft wie die unsere hat genügend andere Möglichkeiten, sich über derartige Probleme auszutauschen.

Welche Möglichkeiten hat man als Normalverbraucher überhaupt, ethisch einwandfrei zu investieren?

Zschaler: Zunächst einmal muss die Grundeinsicht herrschen, dass es einem als gutem Christen nicht egal sein darf, wie die Dinge, die wir kaufen, zustande gekommen sind. Das betrifft natürlich nicht nur das Investieren, sondern auch andere Dienstleistungen und Güter, die wir konsumieren. Bei ethisch einwandfreien Investments helfen einem etwa kirchliche Banken - aber auch andere Banken bieten solche Portfolios an. Man muss sich nur als mündiger Bürger begreifen und vor Abschluss eines Vertrages nachfragen, wie sich das Portfolio zusammensetzt.

epd

Der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Frank E. W. Zschaler ist Hochschullehrer der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.