Kenia: "Es ist schwer, ihnen Hoffnung zu geben"
Angesichts der Hungerkatastrophe in Somalia wird das Nachbarland Kenia momentan wenig beachtet. Lange Zeit hieß es, die kenianische Regierung habe vorgesorgt, dort gebe es genügend Lebensmittelvorräte. Doch offenbar stimmt das nicht ganz. Der Gemüseanbau war vergeblich, das Vieh stirbt auf den Weiden, und die Menschen verzweifeln.
08.08.2011
Von Ann Kathrin Sost

Pastor John Lenkishon Ole Kispan fühlt sich alleingelassen. Noch vor wenigen Tagen sagte Kenias Regierungssprecher, man wisse nichts von Hungertoten im Land und sprach von "Sensationsjournalismus". Kispan blickt über das verdorrte Land seiner Gemeinde im Distrikt Kajiado, südlich der Hauptstadt Nairobi. "Die Menschen sind hungrig, sie haben alle Tiere verloren", sagt er. "Es ist schwer, ihnen Hoffnung zu geben."

Rund 3,7 Millionen Menschen in Kenia brauchen derzeit Nahrungsmittelhilfe, davon rund eine halbe Million somalische Flüchtlinge. Das Land erlebt die schlimmste Dürre seit 60 Jahren. Das Leid der Kenianer steht zwar im Schatten der immensen Hungersnot in Somalia. Aber auch hier wird die Situation immer schlechter. Fällt auch die nächste Regenzeit im Herbst schwach aus, droht ein Desaster.

Die Menschen lassen sich nicht trösten

Pastor Kispan führt eine evangelisch-lutherische Gemeinde von Massai und sieht die Erfolge der vergangenen Jahre dahinschwinden. Statt wie bisher vor allem auf Viehhaltung zu setzen, hatten viele Massai mit Gemüsezucht begonnen - der Start zu einer ausgewogeneren Ernährung und mehr Sicherheit beim Einkommen, sagt Kispan. Der ausbleibende Regen hat sie jedoch entmutigt.

Derweil sterben die Kühe, die für die Massai besonders wertvoll sind. Die Menschen treiben sie viele Meilen weit auf der Suche nach Futter, manche transportieren sie sogar gegen Geld auf LKWs in andere Regionen. Pfarrer in der Region bieten Seelsorge an, um Menschen über den Verlust ihres Viehs hinwegzutrösten - oft vergebens.

Kispan berichtet von Selbstmorden in seiner Gemeinde: Jüngst habe sich ein Mann mit einem Anti-Zeckenmittel für Kühe tödlich vergiftet, berichtet der hochgewachsene Pastor verzweifelt. "Die meisten hängen sich auf", fügt er hinzu. Übrig bleiben Frauen und Kinder, die sich nur sehr schwer selbst ernähren können.

Vieh-Diebstähle aus Verzweiflung

Während Kispan im Süden Kenias zumindest noch keine Hungertoten verzeichnet, ist die Katastrophe anderswo längst da. Die Distrikte Mandera und Wajir im Nordosten etwa sind auf der Fünf-Punkte-Skala der Vereinten Nationen nur noch einen Schritt von einer Hungersnot entfernt. 

Im Norden, wo mindestens eine halbe Millionen Menschen Hilfe benötigt, nimmt zugleich die Gewalt zu. Knapp 200 Menschen wurden in diesem Jahr bereits bei Viehdiebstählen getötet. Allein im Juni kamen 76 Menschen beim Kampf um Wasser und Weidegründe um. Konflikte zwischen Viehhirten gab es hier schon vor der Dürre, doch jetzt häufen sich die Vorfälle deutlich. Im südlichen Rifttal hingegen werden Bauern ihre Überschüsse nicht los, es fehlt an Infrastruktur wie Lagerhallen.

In ganz Kenia erschweren Korruption und der drastische Preisanstieg um bis zu 50 Prozent bei Lebensmitteln den Kampf gegen den Hunger. Entsprechend müssen auch Hilfswerke mehr für Getreide und Bohnen zahlen. Eine dänische Entwicklungshelferin berichtet von wachsenden Schwierigkeiten, kontinuierlich Menschen zu unterstützen: So fielen zum Beispiel Trinkwassertransporte aus, weil die Fahrer kurzfristig die Preise drastisch erhöhten.

Spott bei Facebook über Versprechen der Regierung

Derweil stellte die kenianische Regierung nach eigenen Angaben rund 118 Millionen Euro für Projekte gegen Hunger bereit. Weitere 80 Millionen Euro wurden bereits vom Kabinett genehmigt. Damit sollten auch langfristige Maßnahmen gesichert werden, um solche Dürren in Zukunft zu vermeiden, sagte Finanzminister Uhuru Kenyatta.

In Internetforen machen sich die Kenianer bereits über die Ankündigung lustig: Nach Ende dieser Dürre würden die Versprechen wieder vergessen sein, lästert einer. Wie viel Provision wohl korrupte Beamte von der Hilfe einsteckten? fragt sich ein zweiter.

Pastor Kispan verweist auf einen Brunnen nahe seiner Kirche. 120 Meter tief habe man bohren müssen, um Wasser zu finden, sagt er. Ein Stausee in der Nähe ist indes völlig ausgetrocknet - zum ersten Mal. Kispans Kirche verteilt deshalb Nahrungsmittel an Bedürftige. Die Lage sei dadurch eben so noch zu ertragen, sagt er: "Wir wissen, dass wir das Schlimmste noch vor uns haben."

epd