Leihen statt kaufen: So geht Autofahren heute
Ein Auto zu haben ist praktisch: Es steht vor der Tür und ist jederzeit verfügbar. Ein Auto zu besitzen, ist aber auch teuer: fast 400 Euro kostet ein mittelgroßer Wagen im Monat, hat der Verkehrsclub Deutschland ausgerechnet. Und dabei steht das Fahrzeug die meiste Zeit des Tages (und der Nacht) nutzlos parkend draußen oder in der Garage. Wer nicht ständig auf ein Auto angewiesen ist, findet mittlerweile etliche Möglichkeiten, bei Bedarf eines zu leihen oder mit anderen zu teilen.
08.08.2011
Von Anne Kampf

Vom privaten Autoteilen unter Nachbarn über kleine Carsharing-Vereine, größere Carsharing-Firmen bis hin zu neuen, flexiblen Autoleih-Modellen und organisierter Privatvermietung - das ist die Bandbreite der Angebote, die es in Deutschland gibt. Die Bewegung der Auto fahrenden Nicht-Auto-Besitzer wächst, teils aus finanziellen, teils aus ökologischen Gründen. Dabei ist der Verzicht aufs eigene Auto in Großstädten einfacher als in kleineren Orten, doch auch hier gibt es sinnvolle Alternativen.

Die kleinste und einfachste Organisationsform: Verwandte, Freunde oder Nachbarn schaffen in der Gruppe gemeinsam ein Auto an. Idealerweise wohnen die Mitglieder der Gruppe nah beieinander und können sich auf kurzen Wegen absprechen, wer wann für wie lange das Auto braucht. Beim privaten Autoteilen geht es vor allem ums Sparen: Anschaffung, Versicherung und Reparaturen werden auf mehrere Schultern verteilt. Damit es bei Unfällen und Schäden am Auto nicht zu Streit kommt, sollte genau abgesprochen werden, wer in welchem Fall zahlt und wie eine steigende Versicherungsprämie umgelegt wird.

Flexibel: Das traditionelle Carsharing

Carsharing ist im Prinzip dasselbe wie privates Autoteilen - nur größer, professioneller und über den Freundes- und Verwandtenkreis hinaus. Der erste Carsharing-Verein nahm seine Arbeit 1988 in Berlin auf, mittlerweile gibt es laut dem Bundesverband CarSharing e.V. schon 130 Vereine und Firmen in Deutschland, die Autos an registrierte Benutzer vermieten. Wer mitmachen will, meldet sich an und kann dann nach Voranmeldung per Telefon oder Internet für einen bestimmten Zeitraum ein Auto ausleihen.

Das Carsharing eignet sich vor allem für Stadtbewohner, die ihre Alltagswege mit dem ÖPNV, zu Fuß oder per Fahrrad zurücklegen und nur gelegentlich ein Auto brauchen. Aber auch in ländlichen Gebieten kann Carsharing funktionieren. Laut Willi Loose, Geschäftsführer des Bundesverbandes, ersetzt der gemeinschaftliche Autobesitz allerdings nicht einen schlechten ÖPNV, sondern läuft gerade dann gut, wenn vor Ort ausreichend viele Busse oder Bahnen fahren. "Ökonomisch macht es keinen Sinn, die meisten Wege mit dem Carsharing zurückzulegen", erklärt Loose. Deswegen braucht der Nicht-Auto-Besitzer auch einen guten ÖPNV, das Carsharing eignet sich eher als Ergänzung.

Beispiel: "Karschering" in Tonndorf

Die Kosten setzen sich neben der Grundgebühr und (eventuell einer Kaution) aus einem Zeittarif und einem Kilometertarif zusammen. Die meisten Anbieter schlagen ihren Kunden verschiedene Grundtarife vor: Vielfahrer zahlen besser eine höhere Grundgebühr und niedrigere Kilometerpreise, Gelegenheits-Autofahrer fahren umgekehrt günstiger. Carsharing-Anbieter haben meistens Tarifrechner auf ihren Internetseiten. Eine Liste von Anbietern, sortiert nach Orten, gibt es auf der Seite des Bundesverbandes.

Die kleinste Gemeinde in Deutschland, in der es Carsharing gibt, ist das thüringische Tonndorf, ein Dorf mit rund 600 Einwohnern. Hier hat sich aus dem anfänglich privaten Auto-Teilen im Jahr 2008 ein professionelles Angebot entwickelt. Die Mitglieder einer Lebensgemeinschaft im Schloss Tonndorf nutzen gemeinsam acht unterschiedlich große Fahrzeuge und verleihen sie auch an Gäste, die sich als Kurzzeitmitglieder registrieren lassen können. Der Verein mit 44 Mitgliedern hat sich den Namen "Schlosskarschering e.V." gegeben und nachträglich "Teilauto Tonndorf" hinzugefügt, weil nicht jeder das Sprachspiel "Carsharing - Karschering" verstand. Laut dem Vorsitzenden Ulrich Storbeck funktioniert das relativ simple Buchungssystem mit aushängenden Listen und Autoschlüsseln problemlos.

Unkompliziert: Das spontane Automieten

Eher für Großstadtbewohner geeignet sind die neueren Modelle beispielsweise von car2go oder DriveNow: Innerhalb eines festgelegten Stadtgebiets stehen die Autos an beliebigen Stellen im öffentlichen Verkehrsraum, können von angemeldeten Nutzern spontan ohne Voranmeldung geliehen und nach der Fahrt an einer beliebigen Stelle im Nutzungsgebiet wieder abgestellt werden. Wo die Autos gerade stehen, findet man über die Websites heraus, telefonisch oder per App auf dem Smartphone, das auch gleich den Fußweg dorthin anzeigt und die Entferung berechnet. 

Car2go gibt es bislang in Hamburg und Ulm, DriveNow in München. Die Preisgestaltung ist bei beiden Anbietern so gut wie identisch: einmalige Anmeldegebühr 29 Euro, eine Minute fahren 29 Cent (inklusive Benzin und aller Nebenkosten), eine Stunde maximal 14,90 Euro. Wer tanken will oder muss, tut das bei Vertragstankstellen, die automatisch mit der Zentrale abrechnen, und bekommt einige Euro für die Mühe gutgeschrieben.

Damit ist dieses neue Konzept nicht nur flexibler, sondern für kurze Strecken auch preiswerter als das herkömmliche Carsharing. Geeignet ist es vor allem für spontane Fahrten von A nach B und besonders für einzelne Menschen oder Paare: Car2go hat ausschließlich Kleinstwagen der Marke "Smart" in der Flotte, DriveNow auch einen Kombi.

Nachbarschaftshilfe: Die private Leihbörse

Der neueste Trend geht wieder in Richtung Privat-Autoverleih: "Take my car" heißt die Idee zweier Studenten aus Hamburg, abgekürzt wird der Markenname "Tamyca" daraus. Seit der Gründung im November 2010 haben sich knapp 1200 private Fahrzeugbesitzer registriert, die ihr Auto stunden- oder tageweise zu selbst festgelegten Preisen vermieten. Interessenten finden online heraus, wo in ihrer Nachbarschaft ein Auto zur Verfügung steht und sich direkt beim Besitzer melden. Beide Seiten müssen sich vorher bei Tamyca registrieren (kostenlos) und profitieren vom Versicherungsschutz der Firma, falls ein Unfall passiert. Die Formalitäten halten sich in Grenzen.

Tamyca laufe sehr gut, sagt Geschäftsführer Michael Minis: "Allein im Juli hatten wir über 600 Vermietungen." Den Vermietern und Mietern gehe es nicht nur darum, Geld zu sparen, sondern. Hauptmotivation sei die "soziale Komponente: Menschen kennenlernen und Nachbarschaftshilfe". Tamyca-Benutzer wollen außerdem die Umwelt schützen, indem sie die Ressource Auto effizienter nutzen.

Fazit: Sei es aus Umweltschutzgründen oder aus Geldmangel - Immer mehr Menschen sind zum Autoteilen bereit. Neue Ideen und Organisationsformen entwickeln sich, und längst geht es dabei nicht mehr nur ums Sparen, sondern auf Seiten der Verleiher auch ums Geldverdienen. Es mag außerdem eine Rolle spielen, dass der Wert des Autos als Statussymbol in bestimmten Bevölkerungsschichten gesunken ist. Für viele zählt heute ein Smartphone, eine schicke Wohnungseinrichtung, ein teurer Urlaub oder ein Flachbild-Fernseher mehr als das teure Auto vor der Tür.


Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de und zuständig für die Ressorts Politik und Gesellschaft.