Folter ist in Deutschland zu Recht verboten. "Die Würde des Menschen ist unantastbar", heißt es im Grundgesetz, und das gilt nun einmal für alle, auch für Straftäter oder Verdächtige. Dennoch ist der Impuls des Polizisten, der Gäfgen im Verhör damit drohte, menschlich und moralisch verständlich, zumal er seine Androhung nicht wahrgemacht hat. Gäfgen wurde nicht gefoltert. Die Hoffnung, den Elfjährigen damals im Oktober 2002 noch zu finden, war stark – und der beteiligte Beamte wusste, was er tat, als er Gäfgen mit Schmerzen drohte, "die er nicht vergessen werde". Schließlich hatte sich der Polizist selbst angezeigt und vor Gericht die Drohungen keineswegs verleugnet.
Auf der einen Seite also steht der inzwischen verurteilte Mörder, auf der anderen Seite die Polizisten, die versuchten, ein Leben zu retten. Nun aber tritt der Mörder vor Gericht als Opfer auf, als jemand, dem Schaden zugefügt wurde und für den er entschädigt werden müsse. 15.000 Euro hatte er gefordert, das Frankfurter Landgericht setzte am Ende die Summe auf 3.000 Euro fest.
Menschenwürde kann man nicht außer Kraft setzen
Es ist richtig, dass das Gericht klar festhielt, dass die Folterdrohung unrechtmäßig war, und zwar auf allen Ebenen – denn die beteiligten Polizisten handelten nicht eigenmächtig, es gab Absprachen mit dem Polizeipräsidium und sogar dem hessischen Innenministerium. Das Gericht machte aber auch deutlich, dass keine Folgen zu beklagen waren: "Der Eingriff dauerte nur etwa zehn Minuten und hinterließ beim Kläger keine bleibenden Schäden", hieß es in der Urteilsbegründung.
Das ist auch der Grund, warum die Entschädigung im Vergleich zur Klage nur gering ausfiel. Und so schwierig das emotional zu akzeptieren sein mag: Unser Rechtssystem billigt jedem den Schutz seiner Würde zu, Jakob Metzler ebenso wie Markus Gäfgen. Gäfgen wurde für seinen Mord bereits verurteilt und bestraft. Man muss die Folterandrohung davon trennen. Als verurteilter Mörder im Gefängnis hat Gäfgen bereits bestimmte Grundrechte nicht mehr. Menschenwürde ist aber kein entziehbares Recht wie die Freizügigkeit, sondern ein unveräußerbares Recht für jeden.
Es fühlt sich nicht richtig an, geht aber kaum anders
Das Gericht hat also Recht gesprochen. Trotzdem fühlt es sich unbestimmbar seltsam an, wenn ein Kindesmörder entschädigt wird für etwas, das emotional nachvollziehbar und zutiefst menschlich ist und dann auch noch keinen Schaden hinterlässt. Möglicherweise hätte es gereicht, die beteiligten Polizeibeamten für ihr unbestreitbares Vergehen zu bestrafen und Gäfgen keine Entschädigung zu zahlen, zumal er laut Richterspruch keinen bleibenden Schaden erlitten hat.
Wenn Markus Gäfgen nur einen Funken Anstand gehabt hätte, hätte er seine Klage bleiben lassen. Aber von jemandem, der einen Elfjährigen umbringt und in einem See versenkt, kann man wohl keinen Anstand erwarten. So bleibt uns letztlich nichts anderes, als die Entscheidung des Gerichts anzuerkennen, statt auf emotionale Justiz zu pochen. Denn Rechtsprechung funktioniert eben nicht durch Emotionen. Das mag einem nicht schmecken, aber es ist im Prinzip gut so. Mit allen zähneknirschend akzeptierten Nebenwirkungen.
Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de.