Kinder werden in Deutschland weniger und ärmer
Elterngeld und Kita-Ausbau haben bisher keine Wende gebracht: In Deutschland gibt es immer weniger Kinder. Zugleich wachsen mehr Kinder in einkommensschwachen Familien auf.
03.08.2011
Von Karl-Heinz Reith

Deutschland ist das kinderärmste Land in Europa. Lediglich noch 16,5 Prozent der über 81 Millionen Menschen in der Bundesrepublik sind jünger als 18 Jahre. In den vergangenen zehn Jahren sank die Zahl der Minderjährigen um 2,1 Millionen auf 13,1 Millionen, berichtete das Statistische Bundesamt am Mittwoch in Berlin. Jedes sechste Kind gilt als arm. Besonders häufig von Armut betroffen sind Kinder von Alleinerziehenden.

Im Nachbarland Frankreich liegt dagegen der Anteil der Kinder und Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung bei mehr als 22 Prozent. Bereits seit den frühen 80er Jahren versucht man dort, mit gezielter Familienförderung die Geburtenrate zu steigern. Aber auch Belgien, Großbritannien, die Niederlande und die skandinavischen Länder kommen auf einen Anteil von über 20 Prozent.

Schlusslichter in der EU-Statistik sind neben Deutschland (16,5 Prozent) Bulgarien (16,7) und Italien (16,9). Die im Vergleich meisten Kinder und Jugendlichen im europäischen Raum leben in der Türkei. Fast jeder dritte (31,2 Prozent) der mehr als 72 Millionen Türken ist laut Übersicht jünger als 18 Jahre. Während im Westen Deutschlands seit 2000 die Zahl der Kinder um 10 Prozent abnahm, fiel der Rückgang im Osten mit 29 Prozent noch gravierender aus, heißt es in dem Bericht der Statistiker zur Lebenslage von Kindern und Jugendlichen in Deutschland.

Aus Geldmangel kein Sport und keine Musik

Auch in den Familienstrukturen unterscheiden sich West und Ost: Im alten Bundesgebiet leben dem jüngsten Mikrozensus 2010 zufolge noch 79 Prozent der Minderjährigen bei ihren verheirateten Eltern. In den neuen Ländern sind dies hingegen nur noch 58 Prozent. Fast jedes vierte Kind im Osten (24 Prozent) lebt bei einem alleinerziehenden Elternteil - im Westen sind dies nur 15 Prozent.

15 Prozent der Kinder in Deutschland gelten als arm - weil die Bezüge ihrer Eltern einschließlich staatlicher Hilfen unter dem statistischen Schwellenwert von 11.151 Euro pro Jahr liegen. Für diese Aussage zog das Bundesamt Daten aus der europäischen Haushaltsuntersuchung EU-SILC aus dem Jahr 2008 heran. Zwei Jahre zuvor lag der Armutswert noch bei 14,1 Prozent. Nach dem deutschen Mikrozensus - für den erheblich mehr Familien befragt werden - galten 2009 sogar 18,7 Prozent der Minderjährigen in der Bundesrepublik als "armutsgefährdet".

Ende 2010 lebten nach Angaben der Statistiker 1,96 Millionen Kinder unter 18 Jahren in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften. Besonders häufig sind Kinder von Alleinerziehenden betroffen. Für jedes dritte Kind in dieser Gruppe sind staatliche Hilfen die Haupteinnahmequelle. Bundesweit gaben 7 Prozent der Familien mit Kindern unter 16 Jahren an, ihrem Nachwuchs aus finanziellen Gründen keine regelmäßige Freizeitbeschäftigung wie Sport oder Musizieren ermöglichen zu können. 22 Prozent klagten darüber, wegen Geldmangels auf eine jährliche Urlaubsreise verzichten zu müssen.

NRW bietet am wenigsten Kinderbetreuung an

IG Metall-Chef Berthold Huber machte "prekäre Arbeit und Niedriglohn" für das Armutsrisiko der Kinder verantwortlich. "Vor allem Alleinerziehende haben schlechte Chancen auf einen Vollzeit-Job oder überhaupt eine Stelle, die nicht im Niedriglohnsektor liegt", sagte Huber. Vor allem Frauen arbeiteten derzeit in Teilzeit und in Mini-Jobs.

Der Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige kommt seit der Bund-Länder-Vereinbarung von 2006 voran. 472.000 kleine Kinder wurden im vergangenem Jahr in einer Kita oder von einer Tagesmutter betreut. Politisches Ziel ist es, bis 2013 für 750.000 Kinder solche Plätze zu schaffen. Allerdings stöhnen die Kommunen angesichts ihrer Haushaltsprobleme über die Kosten. Die höchste Betreuungsquote wird in Sachsen-Anhalt mit 56 Prozent erreicht. Schlusslicht ist Nordrhein-Westfalen mit einem Platzangebot nur für 14 Prozent der Kinder unter drei Jahren.

Familien-Staatssekretär Josef Hecken sagte, der Rückgang der Kinderzahl zeige, "wie wichtig eine nachhaltige Familienpolitik ist". Die Bundesregierung sei mit ihren familienpolitischen Maßnahmen auf einem guten Weg.

dpa