Holger Hiepler macht auf der ostfriesischen Insel Juist so etwas ähnliches wie Ferien - obwohl er hier zeitweise arbeitet. Im Gepäck hat er neben seiner Badehose auch einen Talar. Hiepler ist evangelischer Pastor und für drei Wochen als Kurseelsorger zuständig für die Urlauber auf der Insel. "Mal wieder", sagt er mit einem Schmunzeln. "Die Insel lässt mich nicht los." Er ist einer von mehreren hundert deutschen Pfarrern, die in der Urlaubszeit ihre Kollegen in den Feriengebieten unterstützen.
Auf der langgestreckten Insel ohne Autoverkehr geht es ruhig und besinnlich zu. "Das Leben ist hier langsamer als auf dem Festland", sagt der 48-Jährige und blickt ein wenig versonnen dem Insel-Taxi nach, das von zwei Pferden gezogen wird. "Ich kann intensiver nachdenken und Dinge gedanklich zu Ende bringen." Vor allem muss er sich nicht um die lästigen Verwaltungsfragen in seiner Gemeinde kümmern.
Gottesdienste in der freien Natur
Auch Frank Küchler ist als Seelsorger im Urlaubseinsatz. Er mag allerdings lieber die Alpenluft - ganz im Süden Deutschlands. Gottesdienst auf der Zugspitze - das ist genau das richtige für den Klinikseelsorger aus Krefeld. Schon zum neunten Mal ist er zum Sommereinsatz in Bayern, in diesem Jahr in Garmisch-Partenkirchen. Von den vier Wochen, die er hier arbeitet, bekommt Küchler zwei Wochen Sonderurlaub, außerdem Fahrtkostenerstattung und einen Zuschuss zur Ferienwohnung. "Das sind attraktive Konditionen", meint der Pfarrer. Ähnlich sind die Bedingungen in der hannoverschen Landeskirche: Hier ist die Ferienwohnung für den Pfarrer kostenfrei, und der Einsatz wird halb als Dienst, halb als Urlaubszeit angerechnet.
Taufgottesdienst auf dem Wank in Bayern. Foto: Evangelische Kirchengemeinden in Garmisch-Partenkirchen
Aber "Urlaub" seien die vier Wochen nicht wirklich, findet Frank Küchler. "Man hat schon so sechs bis sieben feste Termine in der Woche." Zu seinen Aufgaben als Urlauberseelsorger zählen Ansprachen bei Kurkonzerten, die Gestaltung von Nachmittagen für Gäste und Gemeindeglieder und vor allem Gottesdienste auf den Bergen. Küchler schwärmt von der besonderen Atmosphäre auf grünen Alpenwiesen mit schneebedeckten Gipfeln im Hintergrund: "Es macht mir Freude, Gottesdienste in der freien Natur zu gestalten."
"Unsere Leute sollen riesengroße Ohren haben"
Sein Kollege Holger Hiepler oben im Norden auf Juist versucht, für sich so viel Urlaub wie möglich aus dem Arbeitseinsatz herauszuholen: Alles was stresst, lässt er zu Hause im niedersächsischen Drage-Drennhausen an der Elbe. "Die Ruhe hier tut gut", sagt Hiepler. "Darum habe ich auch meinen Laptop nicht mitgenommen. Sonst würde ich ständig E-Mails lesen und beantworten."
Im Wechsel mit der Inselpastorin Elisabeth Tobaben predigt Hiepler am Sonntag in der vollen Inselkirche, hält Andachten und ist ansonsten für die Inselgäste da: "Urlauber gehen gerne in die Kirche - besonders dann, wenn das Wetter schlecht ist", berichtet er. Oft wird er auf die Predigt angesprochen oder um seelsorgerlichen Rat gebeten. "Die Leute haben auf der Insel die gleichen Sorgen wie zu Hause. Aber im Urlaub fällt es ihnen leichter, mit einem Pastor darüber zu sprechen."
"Unsere Leute sollen riesengroße Ohren haben", sagt Hartmut Schneider, der bei der Hannoverschen Landeskirche für die Kur- und Urlauberseelsorge verantwortlich ist. An den Nordseestränden gibt es mehrere Kirchenstrandkörbe: Immer wenn dort die Fahne mit dem Sonnenkreuz gehisst ist, signalisiert der Seelsorger damit: "Ich bin da." Gerade im Urlaub seien die Menschen bereit für ein seelsorgliches Gespräch, hat Hartmut Schneider beobachtet. Der Grund: "Hier sieht einen keiner. Es ist anonymer als zu Hause." Außerdem setzten gerade im Urlaub oft Klärungsprozesse ein, die Menschen hätten Zeit zum Nachdenken.
Die Anerkennung tut den Pfarrern gut
Frank Küchler macht die Erfahrung, dass Menschen spontan auf ihn zugehen. "Das ist mehr informell. Nicht so nach dem Motto: 'Herr Pfarrer, ich habe eine Problem!'" Oft ergäben sich tiefergehende Gespräche. Für sich selbst sieht Küchler diese Begegnungen als Gewinn: "Es ist Flexibilität gefordert, man muss improvisieren, sich auf Leute einstellen, Fingerspitzengefühl zeigen." So trainiert der Seelsorger im Arbeitseinsatz in Garmisch seine Kompetenzen. "Eine Chance, neu zu lernen", sagt Küchler.
In der Urlaubszeit arbeiten Hunderte Pastorinnen und Pastoren zwischen Flensburg und Berchtesgaden als Kur- und Urlauberseelsorger. Vor allem in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und in Bayern sind die Theologen in den Ferienorten ansprechbar. In Bayern arbeiten neben den mehr als 80 Kurseelsorgern auch fast 50 Kantoren, die ihre Kollegen vertreten.
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Die hannoversche Landeskirche lädt ihre Pastorinnen und Pastoren ausdrücklich ein, alle paar Jahre für zwei bis drei Wochen als Kurseelsorger zu arbeiten, sagt Hartmut Schneider, der den Einsatz von rund 100 Pastoren an 20 Einsatzorten zwischen Borkum und dem Harz koordiniert. "Die Auszeit von der eigenen Gemeinde und die neue Anerkennung der eigenen Arbeit tut den Leuten gut." Ihm ist wichtig: "Die Kurseelsorger sind eine Unterstützung der Ortspastoren - keine Vertretung."
Auf Wiesen und Bergen - ein bisschen wie Jesus...
Die Juister Inselpfarrerin Elisabeth Tobaben ist froh über jede Unterstützung. Alljährlich kommen rund 100.000 Gäste auf die Insel. Während der Hauptsaison sind ständig etwa 10.000 Urlauber gleichzeitig da. "Ich bin auch noch für die 800 evangelischen Insulaner verantwortlich, die im Sommer immer ein wenig zu kurz kommen".
In Bayern organisieren die Urlauberseelsorger besondere Angebote für Gäste, wobei natürlich auch Einheimische immer willkommen sind. Es gibt Gottesdienste an den Seen und auf den Bergen, Wanderungen durch die Wälder und Abendveranstaltungen mit Musik und Lyrik. In den Kurorten werden auch Vorträge zu Lebensthemen wie "Krankheit", "Tod" oder "Abschied" nachgefragt.
"Wir wollen zeigen dass Kirche offen ist für andere Formen und für Sinnfragen", erklärt Kirchenrat Thomas Roßmerkel, der die Urlauberseelsorge in der bayrischen Landeskirche koordiniert. "Die Botschaft, die wir haben, ist auch heute noch tragfähig und sinnstiftend", davon ist er überzeugt. Deswegen geht die Kirche zu den Menschen hin - an der Nordsee an die Strände, in Bayern auf die Wiesen und Berge. Ein bisschen so, wie Jesus zu den Menschen hinging. "Ja", meint Thomas Roßmerkel, "Jesus ist kein schlechtes Beispiel."