Lutherischer Weltbund hilft hungernden Somaliern
Hilfe unter schwierigsten Umständen: Im kenianischen Flüchtlingslager Dadaab versucht der Lutherische Weltbund, den Alltag von 400.000 Somaliern zu organisieren. Die Menschen in den drei Camps sind vor Dürre und Hunger in ihrem Heimatland geflohen.
03.08.2011
Von Ann Kathrin Sost

Dutzende Menschen kauern unter Plastikplanen, manche sind vor Erschöpfung eingeschlafen. Frauen schützen ihre Babys mit Tüchern vor der Sonne, wischen sich müde über die Augen. Ein Mann, die Kleider schlackern ihm um den Körper, kippt um. Helfer bringen einen Rollstuhl, reden von der Klinik. "Noch nicht", sagt die Familie. "Erst müssen wir uns registrieren lassen." Das Registrierungszentrum im Flüchtlingslager im kenianischen Dadaab ist für viele Somalier das Ende einer langen Reise.

Fatimah Yusuf kam mit ihrer Familie, als alles Vieh verdurstet war. Ungefähr 70 Jahre sei sie alt, sagt die blinde Frau, die seit vier Monaten in Dadaab ist. 17 Tage ging sie von Südsomalia zu Fuß, bis sie das Camp erreichte. Mit rund 400.000 Flüchtlingen ist das Lager bereits am äußersten Rand seiner Kapazitäten. Manche warten Wochen, bis sie offiziell als Flüchtling aufgenommen werden. Der Andrang ist einfach zu groß. Rund 1.300 neue Flüchtlinge kommen täglich hinzu. Auf die Registrierung, die ihnen einen Platz im Camp und regelmäßige Essensrationen verschafft, warten viele beharrlich, auch wenn sie am Ende ihrer Kräfte sind.

Zur drittgrößten Stadt Kenias angewachsen

Seit 20 Jahren zieht Dadaab Somalier an, die erst vor Krieg und Anarchie flohen, und jetzt vor dem Hunger. Drei Camps gibt es offiziell in der höchst kargen, sandigen Umgebung des kleinen Ortes: Dagahaley, Ifo und Hagadera. Dadaab ist damit zur drittgrößten Stadt Kenias angewachsen. Eine Infrastruktur hat sich etabliert: Es gibt Kamelmärkte, kleine Geschäfte mit Alltagsbedarf, Internetcafés - und mittlerweile auch große Friedhöfe in der staubigen, endlosen Weite. Akazienzweige markieren die Gräber. Die Kenianer treiben Handel mit den Flüchtlingen, zugleich wächst aber auch die Konkurrenz um Feuerholz, Wasser und Land, das zunehmend auch außerhalb des Camps von Flüchtlingen besiedelt wird.

Wie jede Stadt brauchen auch die Flüchtlingslager eine Verwaltung. 120 Mitarbeiter des Lutherischen Weltbunds (LWB) versuchen gemeinsam mit 500 Flüchtlingen, den Alltag zu organisieren und für ein friedliches Zusammenleben zu sorgen. Das fängt bei der Registrierung an: Unter den Ankommenden sind Minderjährige ohne Familie, Behinderte und vergewaltigte Frauen. Sie werden an Pflegeeltern und Sozialarbeiter verwiesen. Alle zwei Jahre werden "camp leader" gewählt - jeweils eine Frau und ein Mann. Daneben gibt es eine Art Kiezpatrouille: Freiwillige aus den Camps schlichten Streit unter Nachbarn oder helfen bei Gewalt in der Familie. Außerdem wurden sieben Grundschulen gebaut, in denen rund 12.000 Kinder unterrichtet werden.

Dazu kommen Dinge, die auf den ersten Blick nebensächlich erscheinen, wie die Ausgabe von Damenbinden und Seife. "Die Idee ist, so etwas wie ein normales Leben zu schaffen", sagt Lennart Hernander, Vertreter des LWB für Kenia und Dschibuti. Die meisten Familien sind freilich von einem normalen Alltag noch weit entfernt: Erst ein Drittel aller Kinder in den Camps besucht eine Schule. Erwachsenenbildung fehlt noch ganz.

Die Regierung blockiert

Viele Flüchtlinge wollen zunächst einmal einen offiziellen Platz im Camp. Dass selbst gebaute Rundhütten aus Ästen und Plastikplanen an allen Rändern der Camps wuchern, müsste nicht sein: Ein Camp, Ifo 2, wartet seit Monaten auf die Eröffnung. Doch die kenianische Regierung blockiert - warum, darüber gibt es viele Theorien. Von Koalitionsstreit ist die Rede, von Sicherheitsbedenken wegen einer möglichen Infiltration der somalischen Islamisten und von der Angst, die Flüchtlinge könnten sich dauerhaft niederlassen. Derzeit wird anderenorts Abhilfe geschaffen. Bis zu 1.000 Flüchtlinge sollen täglich auf ein neues Gelände umsiedeln, auf dem mit Hilfe von LWB-Mitarbeitern bereits Zelte aufgestellt und Flächen für rund 65.000 Menschen markiert werden. 1.200 Zelte stehen bereits.

In das erste Zelt, ganz am Rand des Geländes, zog die etwa 70-jährige Fatimah Yusuf. "Anfangs hatten wir keinen Ort zum Schlafen, waren hier und da, es war schrecklich", sagt sie. Das Zelt, das vor dem Staub und der Sonne nur mäßigen Schutz bietet, empfindet sie als Geschenk: "Ich bin jetzt sicher hier, das ist fast ein Zuhause", sagt die alte Frau. Ob sie je nach Somalia zurückkehrt? "Dafür bin ich zu alt", sagt sie schlicht. "Aber einen besseren Ort als diesen hier in der Zukunft, darauf hoffe ich noch."

Unterdessen fordert der LWB angesichts der Hunger- und Flüchtlingskrise eine politische Lösung für das Bürgerkriegsland Somalia. "Die internationale Gemeinschaft, die Afrikanische Union und auch die Arabische Liga sind aufgerufen, in Somalia die Bedingungen herzustellen, dass die Menschen zurückkehren können", sagte LWB-Generalsekretär Martin Junge (Foto) dem Evangelischen Pressedienst (epd) bei einem Besuch inDadaab.

"Schicksale machen betroffen"

Junge lobte die Regierung und die Bevölkerung Kenias für ihre Offenheit. Es sei beeindruckend, dass so viele Flüchtlinge in ein Land gelassen würden, das selbst unter der Trockenheit leide. Natürlich gebe es auch Spannungen mit der lokalen Bevölkerung. Insgesamt sei das Entgegenkommen aber bemerkenswert. "Vor dem Hintergrund der Diskussionen im europäischen Raum hebt sich diese Solidarität umso stärker hervor", sagte der LWB-Generalsekretär. Die Schicksale der Somalier und das Ausmaß der Camps in Dadaab machten betroffen. Es sei erschreckend, persönlich berichtet zu bekommen, wie etwa eine Frau mit ihren Kindern 23 Tage bis zu dem Lager gelaufen sei.

Gleichzeitig sei es schön, dass die Menschen nicht nur passiv dasäßen, sondern sich als Gemeinschaft organisierten, erläuterte Junge: "Sie wählen ihre eigenen Führungspersönlichkeiten, interagieren mit Hilfsorganisationen." Derzeit erreichen täglich rund 1.300 neue Flüchtlinge aus Somalia Dadaab. Viele warten viele Tage auf eine Registrierung. Junge appellierte an die kenianische Regierung, den Registrierungsprozess zu beschleunigen, indem die Behörden mehr Mitarbeiter ins Camp schicken. Zugleich bereite ihm immer noch große Sorge, wie die Flüchtlinge, die sich außerhalb der Camps ansiedelten, versorgt und betreut würden.

Der 1961 in Chile geborene Pfarrer Martin Junge, dessen Mutter aus Österreich stammt, ist seit Ende 2010 Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes. Über seinen Weltdienst, die Not- und Entwicklungshilfeabteilung, verwaltet der LWB die Flüchtlingscamps in Dadaab im Autrag der Vereinten Nationen. Dem Weltbund mit Sitz in Genf gehören 145 lutherische Kirchen in 79 Ländern an.

epd