"Min Dît – Die Kinder von Diyarbakir", 6. August, 23.10 Uhr im WDR
"Alles, was ich in meinem Film zeige", versichert Miraz Bezar, "hat in der einen oder anderen Form in stattgefunden." Der in Ankara geborene Regisseur ist mit seinen Eltern nach dem Militärputsch 1980 nach Deutschland ausgewandert. Die gewalttätigen Erlebnisse seiner Kindheit aber haben ihn nie losgelassen. Sein von Fatih Akin koproduziertes Debüt soll dazu beitragen, "ein wenig Licht in diese finstere Periode zu bringen".
Bezar erzählt mit "Min Dît" die Geschichte zweier kurdischer Geschwister, deren Vater regimekritischer Journalist ist. Bei der nächtlichen Rückfahrt von einer Hochzeit wird das Auto von Geheimpolizisten angehalten. Die Männer erschießen die Eltern vor den Augen der Kinder. Die zehnjährige Gulîstan übernimmt nun die Verantwortung. Eine Weile lang halten sich die Geschwister über Wasser, indem sie nach und nach alle Möbel verkaufen, aber schließlich landen sie auf der Straße. Eine Kassette mit der Stimme der Mutter, die das Märchen von einem Wolf mit Glocke um den Hals vorliest, ist die einzige Erinnerung an die Vergangenheit.
Gelegenheit zur Rache
Bezar inszeniert seine traurige Geschichte optisch völlig unspektakulär. Beinahe wie in einem Dokumentarfilm beschränkt sich die Kamera (Isabelle Casez) darauf, die Kinder in langen Einstellungen zu beobachten. Der Film verlässt die Kinder nur für wenige kurze Szenen, aber die haben es in sich: Durch Zufall findet Gulîstan raus, dass der Mörder ihrer Eltern ebenfalls in Diyarbakir lebt, ein liebevoller Ehemann und Vater, dessen Nachbarn keine Ahnung haben, dass er in Wirklichkeit für die paramilitärische Geheimpolizei arbeitet. Als sich das Mädchen mit der Gelegenheitsprostituierten Dilan (Berîvan Ayaz) anfreundet, bietet sich völlig unerwartet die Gelegenheit zur Rache.
Selbst jetzt widersteht Bezar der Versuchung, aus "Min Dît" einen Thriller zu machen. Mit großartiger Beiläufigkeit offenbart er statt dessen, dass das Märchen vom Wolf mit der Glocke weitaus mehr als bloß eine Gute-Nacht-Geschichte ist. In der Fabel muss der Wolf am Ende verhungern, weil seine potenziellen Opfer ihn schon von weitem am Glockenklang erkennen. Dem Mörder ihrer Eltern soll es ganz ähnlich ergehen.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).