Mutaz Faysal (57) lebt seit über 30 Jahren in Gießen, seine Verwandten wohnen in Damaskus. Mit der Familie in Syrien kann Faysal telefonieren, "aber sie sagen nichts, das wird abgehört." Höchstens unverfängliche Alltagsprobleme sind Inhalt der Telefonate: "Sie erzählen, wo sie hingehen dürfen und wohin nicht, was es zu kaufen gibt und was nicht." Zumindest weiß Mutaz Faysal, dass sie noch leben - und Angst haben.
Martin Lückhoff macht ähnliche Erfahrungen, wenn er in Syrien anruft. "Man umschreibt gewisse Dinge. Die Gesprächpartner sind sehr vorsichtig. Sie müssen davon ausgehen, dass sie abgehört werden." Lückhoff ist Dekan des evangelischen Kirchenkreises Hanau-Land und Vorsitzender des Antiochia-Ausschusses bei der Kurhessischen Kirche. Die Landeskirche unterhält eine Freundschaft mit der so genannten rum-orthodoxen Kirche in Syrien mit Sitz in Damaskus, er kennt vor allem Menschen in der Stadt Homs.
"Der Kontakt ist im Moment schwierig", berichtet Lückhoff. Zwar kämen E-Mails aus Syrien in Deutschland an, aber: "Man weiß nicht, was von wem gelesen wird." Belastbare Informationen, wie es den Freunden in Syrien momentan geht, hat Lückhoff nicht. Nur so viel: "Viele haben Angst um ihre Familien. Ich höre vereinzelt von Toten in den Gemeinden."
"Ein Besuch ist den Gastgebern im Moment nicht zuzumuten"
Vor rund 20 Jahren ist der Kontakt zu den Glaubensgeschwistern in Damaskus über persönliche Freundschaften eines deutschen Pfarrers in Beirut entstanden. Seitdem tauschen sich die beiden Kirchen regelmäßig über theologische Fragen aus, und die Kurhessen unterstützen ihre syrischen Freunde mit Fachwissen im diakonischen Bereich. Weil etliche gut ausgebildete Syrer ihr Land verlassen, brechen die traditionellen Großfamilien auseinander. Dadurch entstehen Versorgungslücken: Die syrische Gesellschaft braucht plötzlich Kindergärten, Behinderteneinrichtungen und Altenheime.
Das Vertrauen zwischen den beiden Kirchen unterschiedlicher Konfession sei im Laufe der Jahre gewachsen. Man könne auch schwierige Fragen ansprechen, betont Lückhoff. Im März 2010 war eine Gruppe aus Hessen zuletzt in Syrien, im September besuchten einige syrische Christen Deutschland. Den nächsten Gegenbesuch wagt Martin Lückhoff nicht konkret zu planen: "Das ist den syrischen Gastgebern im Moment nicht zuzumuten." Doch sobald die Sicherheitslage es zulasse, werde eine Delegation aus Kurhessen nach Syrien reisen, um sich einen Eindruck von der Situation zu machen.
Mutaz Faysal wird nicht nach Syrien reisen können. Sein Name steht offenbar auf verschiedenen Listen der syrischen Geheimdienste, jedenfalls geht er davon aus. Ihm drohe die Verhaftung, wenn er das Land betrete. Warum, so sagt der 57jährige, wisse er selbst nicht genau. Denn Faisal war 1979 zum Promovieren nach Deutschland gekommen, also noch vor den Unruhen Anfang der Achtziger Jahre. "Vielleicht hat jemand meinen Namen genannt, weil ich in Sicherheit war, um andere zu schützen, die noch im Land waren", vermutet er. "Außerdem habe ich hier ein paar Aktivitäten gestartet", erwähnt Faysal fast beiläufig.
"Tote auf der Straße, in den Moscheen, überall"
Zusammen mit anderen Syrern in Deutschland versucht er, Aufklärungsarbeit zu leisten und über die Opposition in Syrien zu informieren. Die Gruppe "Prosyrianrevolution" organisiert Gespräche mit Politikern und Medienvertretern und lädt auf Facebook zu Demonstrationen in Deutschland ein. Mutaz Faysal empfiehlt das Onlineportal www.onsyria.com, das von einem Aktivisten in Deutschland produziert wird. Mehr als 34.000 Videos von den Protesten und der Gewalt in Syrien sind dort mittlerweile zu sehen, nach Kategorien geordnet und teilweise nichts für schwache Nerven.
In manchen Städten stelle die syrische Regierung das Internet ab, "da wo sie vermuten, dass Leute versuchen, etwas hochzuladen", erklärt Faysal. Die Opposition könne aber an den Grenzen die Netze des Libanon, des Irak oder der Türkei benutzen. Die syrischen Aktivisten in Deutschland verabreden sich außerdem, um per Satellitentelefon den Kontakt zu ihren Landsleuten aufrecht zu erhalten, wenn die normalen Telefonleitungen wieder einmal unterbrochen sind. "Aber die syrische Regierung versucht, diese Telefone mit Technik aus dem Iran zu orten," beschreibt Faysal die Repressionsversuche.
Die brutale Gewalt, mit der die syrische Armee offenbar gegen Zivilisten vorgeht, schockt den Gießener: "Es gibt Tote auf der Straße, in den Moscheen, überall", sagt er aufgeregt. Manchmal würden bei den Schießereien Kleinkinder getroffen, die zufällig am Fenster stehen, oder Jugendliche, die in den Hauseingängen lungern. Weil die Bedrohung so nah und so real ist, hätten manche Syrer mittlerweile "die Angstmauer durchbrochen", berichtet Faysal. "Die erzählen, dass Panzer vor der Tür stehen, Die haben nichts mehr zu verlieren."
Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de