Arme Dolomiten brachten uns das italienische Eis
Italienisches Eis bringt für viele köstlichen Genuss und den Traum vom Schmelz des Südens mit sich. Dabei entstanden italienische Eiscafés in Deutschland zunächst aus blanker Not der Bewohner von zwei Tälern in den Dolomiten heraus. Denn die ersten Eismacher kamen fast alle aus dem Val Zoldana und dem Val di Cadore. Ihre Eisdielen nannten sie nach ihrer Heimat: "Dolomiti", "Cortina" oder auch nach dem nahegelegenen Venedig "Venezia".
01.08.2011
Von Bettina Gabbe

Zu den Pionieren zählte Mario Fontanella. Er zog bereits 1931 nach Deutschland, eröffnete 1933 in Mannheim die erste Gelateria der Stadt. "Er hatte gehört, dass es in dieser reichen multikulturellen Hafenstadt schöne Frauen gebe", sagt schmunzelnd Sohn Dario Fontanella, der heute ein modernes Eiscafé führt und als Erfinder des Spaghetti-Eis gilt. "Aber die Leute haben damals ihre Täler nicht aus Leidenschaft sondern aus Not verlassen, im Val Zoldana herrschte pures Elend", sagt er. "Ursprünglich ist der Hunger für den Erfolg von italienischem Eis verantwortlich."

Das Geschäft mit dem Eis boomt in Deutschland seit den 50er Jahren

Holz aus den Wäldern und Eisen aus einer Mine hatte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch für ein Auskommen in den Dolomitentälern gesorgt. Mit der industriellen Revolution war die handwerkliche Herstellung von Nägeln und hölzernen Schiffsplanken jedoch überholt. Die Bewohner der Täler verdingten sich als Wanderarbeiter auf dem Bau oder als Verkäufer von gekochten Birnen und Maronen, später von Eiscreme. Die Wiener Behörden erteilten 1860 dem ersten italienischen Gelatiere eine Lizenz, seine kalten Spezialitäten im Prater zu verkaufen.

In Deutschland begann das Geschäft der italienischen Gelatieri seit den 50er Jahren zu boomen. Die eingewanderten Familien konnten sich endlich wieder die Reise in ihre Heimattäler leisten. Wer Haus und Hof verkauft hatte, erwarb beides zurück. Die älteren Generationen zogen sich wieder in die Berge zurück, die Jüngeren verbrachten bis in die 90er Jahre Jahre jeden Winter dort.

"Noch immer ziehen Großeltern dort in den Sommermonaten die Kinder auf, damit die Bindung an Italien erhalten bleibt", sagt Historikerin Anne Overbeck, die für das Industriemuseum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe in Bochum die Geschichte der italienischen Eismacher erforscht hat.

Legendenbildung um das Wort "Eisdiele"

Als die italienischen Eismacher in Deutschland begannen, kleine Ladengeschäfte einzurichten, nagelten sie schlicht Bretter vor ihre Fenster im Erdgeschoss. "Das ist eine der Legenden über die Entstehung des Wortes Eisdiele", sagt Overbeck. Möglicherweise geht das Wort jedoch auch auf die schlauchartigen Läden zurück, die in ihrer dunklen Enge an eine Diele erinnerten.

Mittlerweile profitieren auch Einwanderer aus anderen Ländern vom Mythos des italienischen Eisgenusses, betreiben und benennen ihre Eisdielen wie die der Italiener. "Wenn jemand aus Polen oder der Türkei eine Eisdiele eröffnet, heißt sie nicht Warschau oder Istanbul", sagt Eishistorikerin Overbeck. Dass auch Nachfolger sich mit dem Image des italienischen Lebensgenusses schmücken, nennt sie eine erfolgreiche Marketing-Strategie.

Das Herstellen zum Eis wird zum Ausbildungsberuf

Gegen den Vormarsch anderer Eismacher kämpfte über Jahre hinweg die 1969 gegründete Vereinigung der italienischen Gelatieri. "Uniteis" verklagte in vielen Fällen erfolgreich Einwanderer aus anderen Ländern, die angeblich italienisches Eis verkauften. "Dabei waren wir uns im Klaren, dass die Staatsbürgerschaft des Gelatiere ein schwaches Argument ist", gesteht Rodolfo Dolce ein, der die Klagen für den Eismacherverband zum Erfolg führte.

Heute ist die Herstellung von Speiseeis ein anerkannter Ausbildungsberuf in Deutschland mit Prüfungen in Frankfurt am Main und im italienischen Longarone. Es sei jedoch versäumt worden, Standards zu entwickeln, an denen italienisches Eis gemessen werden kann, meint Dolce. In Deutschland etwa ist Sahne bei gutem Eis neben Milch und Eiern nicht wegzudenken - in Italien gilt sie als verpönt.

epd