Die Kirchen Ostdeutschlands erlebten nicht nur die Diktatur des Nationalsozialismus, sondern auch vierzig Jahre lang die „Diktatur des Proletariats“ in Form des SED-Regimes mit seinem Wahrheits- und Totalitätsanspruch. Auch wenn hier Zeiten der offenen Konfrontation mit Phasen der Diplomatie wechselten, es blieb das erklärte Ziel des SED, die Kirche gesellschaftlich zu marginalisieren; eine offene Beteiligung der Kirche am gesellschaftlichen Leben war nicht gewünscht.
Kirche im Sozialismus
Der Mauerbau im Jahre 1961 bedeutete dann auch die Isolation der ostdeutschen Kirchen von der EKD, auch wenn es bis zur Gründung des Bundes der Evangelischen Kirchen der DDR noch Jahre dauern sollte (1969).
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Dessen Gründung war nicht nur ein organisatorischer Akt, sondern wollte bewusst der kirchlichen Arbeit unter den Bedingungen des Sozialismus dienen: Während in den westlichen Kirchen weiterhin stabile volkskirchliche Zustände herrschten, gerieten die Kirchen der DDR zunehmend in eine Diasporasituation. Vor allem standen sie einem Staat gegenüber, der das Verschwinden von Religion als geschichtliche Notwendigkeit postulierte. Ferner schien die Teilung Deutschlands schien unwiderruflich. So wurde es immer wichtiger, sich bewusst auf die gesellschaftliche Situation in der DDR einzulassen und nach dem alten Prophetenwort auch unter den Bedingungen des Sozialismus „der Stadt Bestes zu suchen…“.
Immer wieder haben sich deshalb Synode des Bundes mit der Frage der Identität der Kirche und des Christseins in einem sozialistischen Staat beschäftigt. Auch wenn es diesbezüglich nie zu einem umfassenden Beschluss gekommen ist, wurden dennoch wegweisende Formeln geprägt, die bewusst interpretationsoffen formuliert wurden: „kritische Distanz“, die „kritische Solidarität“, „mündige Mitarbeit in der sozialistischen Gesellschaft“, „Annehmen und Freibleiben“ oder die Formel vom „verbesserlichen Sozialismus“.
Am bekanntesten wurde die Formulierung der Bundessynode von 1971: „Wir wollen Kirche nicht neben, nicht gegen, sondern Kirche im Sozialismus sein.“ Auch diese Formel konnte sehr unterschiedlich ausgelegt werden - je nachdem als reine Ortsbestimmung, als Bejahung von Zeugnis und Dienst in einer konkreten Situation, aber auch als Bekenntnis zum Sozialismus als einem gerechteren Gesellschaftssystem. Die Formel war gewissermaßen der kleinste gemeinsame Nenner sehr unterschiedlicher Auffassungen innerhalb der evangelischen Kirchen. In den 1980er Jahren wurde sie zunehmend kritisiert, aber zu DDR-Zeiten nie offiziell zurückgenommen.
Entkirchlichung ist kirchlicher Supergau
Im Ergebnis bedeutete die DDR-Geschichte einen „Supergau für die Kirche“, wie es der Religionssoziologe Ehrhart Neubert formuliert. In nicht ganz zwei Generationen erfolgte ein durchschnittlicher Rückgang der Christen von 94% auf 30% und etwa eine Verzehnfachung der Konfessionslosen von knapp 6% auf zwei 66 % der Bevölkerung. Dabei sind zwei Drittel der ostdeutschen Konfessionslosen schon immer konfessionslos. In der Sprache des Gleichnisses vom „verlorenen Sohnes“: Sie sind nicht selbst in die Fremde gegangen, sondern bereits in der Fremde geboren! Sie kennen den „Vater“ nicht mehr, der auf sie wartet - und keiner hat ihnen von ihm erzählt. Sie haben nicht nur Gott vergessen, sondern vergessen, dass sie Gott vergessen haben. Und manche befürchten, dass wir Antworten auf Fragen geben, die sie gar nicht mehr verstehen. Auch wenn man sich dieser These nicht anschließen mag - das alles ist eine missionarische Herausforderung ersten Ranges.
Johannes Berthold war nach dem Theologiestudium in Leipzig wissenschaftlicher Assistent an der "Theologischen Studienabteilung" beim Bund der Evangelischen Kirchen der DDR. Von 1980 bis 1990 war er Gemeindepfarrer in Borstendorf, 1990 erfolgte die Berufung als Dozent an die Fachhochschule für Religionspädagogik und Gemeindediakonie Moritzburg 2004 bis 2008 war er Rektor der Fachhochschule, seit 2008 ist er Vorsitzender des sächsischen Gemeinschaftsverbandes.