Krieg und Katastrophen: Wie sag ich's den Kindern?
Erdbeben, Kriege, Katastrophen: Immer neue Meldungen kommen aus aller Welt. Auch Kinder werden in allen Medien damit konfrontiert. Es gibt spezielle Kinderjournalisten, die diese Nachrichten dann aufbereiten.
31.07.2011
Von Anke Vehmeier

Längst hat sich die Ansicht bei Kindermedienmachern gewandelt, man könne Katastrophenmeldungen vor den Kleinsten verbergen. "Das sind überholte pädagogische Vorstellungen. In unserer medial durchdrungenen Welt und durch die Aufregung der Eltern merken Kinder schon in sehr jungem Alter, wenn etwas Außergewöhnliches passiert. Wir können sie vor der Wirklichkeit nicht bewahren", sagt Maya Götz, Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen beim bayerischen Rundfunk (IZI). Das IZI hat nach der Katastrophe im März in Japan eine qualitative Studie gestartet, wie Kinder die Berichterstattung in den Medien erleben.

Bilder aus den USA optimistischer als aus Deutschland

Befragt wurden mehr als 300 Kinder zwischen 5 und 13 Jahren in Deutschland, 180 in den USA und 160 in Brasilien. Dazu kommen Stichproben aus Hongkong, Südkorea, Kuba oder der Dominikanischen Republik. Die Japan-Studie setzt auf der ersten Studie dieser Art aus dem Jahr 2003 auf. Damals untersuchte das IZI die Auswirkungen der Berichterstattung über den Irak-Krieg auf Kinder, die Dokumentation findet sich bei der Bundeszentrale für politische Bildung.

[listbox:title=Qualitätsmerkmale von kindergerechtem Journalismus[Bei der BLITZ-KinderMedienKonferenz von bpb und IZI im Juli in München haben die 150 Kindermedienmacher aus Print, TV, Hörfunk und Online sechs Qualitätsmerkmale formuliert:##Einfach und direkt berichten##Emotionalisierung und Spekulationen vermeiden##Argumente der verschiedenen Seiten berichten##Konfliktlösungsstrategien aufzeigen##Kinder aktiv einbeziehen##Vernetzung untereinander, mit Schulen, auf verschiedenen Plattformen]]

Die Ergebnisse der neuen Japan-Studie wurden jetzt erstmals bei bei Konferenz "Tsunami und Super-GAU – Für Kinder berichten" von IZI und der bpb öffentlich präsentiert. In der Untersuchung standen der Tsunami und Atomunfall in Japan im Blickpunkt. Kinder malten dafür Bilder, wie sie die Ereignisse in den Medien erlebt haben. Dabei zeigte sich, dass die Wahrnehmung vom Umfeld und dem medialen Diskurs beeinflusst wird – und zwar international unterschiedlich. "Was uns, aber auch die Emotionen der Kinder prägt, ist das Agendasetting. Bei Katastrophen ist das Empfinden und Denken der Kinder nicht neutral", sagt Maya Götz.

So zeichneten die Kinder des Inselstaates Dominikanische Republik vor allem ihre Angst vor dem Tsunami - das Erdbeben selbst spielte bei ihnen keine Rolle. In Deutschland beschäftigten sich die 5- bis 13-Jährigen hauptsächlich mit dem Unfall im Atomkraftwerk und seinen Folgen, während die Mädchen und Jungen in den USA häufig Sachbeschädigungen zeigten: zerstörte Autos, einstürzende Häuser, sinkende Schiffe.

Eines der Bilder, mit dem Kinder den Tsunami beschrieben. Foto: IZI

Allerdings seien die Bilder aus den USA optimistischer als jene von deutschen Kindern, berichteten die Forscher des IZI. So sind auf den Bildern der amerikanischen Kinder Superhelden zu sehen, die gegen die Katastrophe kämpfen. Und sogar Surfer nutzen die Riesenwelle, um auf ihr zu reiten. Die Stimmung vieler amerikanischer Bilder: "Es wird alles wieder gut."

Die Kinder der Welt waren sich einig, was sie von Katastrophen wissen wollen: wie die Menschen mit der Ausnahmesituation klar kommen – tote Menschen möchten sie nicht sehen. Für sie geeignete Berichterstattung begebe sich daher in die Kinderperspektive, erklärt Maya Götz, denn Kinder stellten völlig andere Fragen als Erwachsene. "Beim Tsunami wollen sie wissen, wohin die Autos schwimmen. Wenn es im AKW brennt, sorgen wir Erwachsenen uns um die Gesundheit und die Zukunft der Stromerzeugung. Kinder wollen wissen, wie es zu dem Feuer kam. Wird das nicht erklärt, dann kommt es zu Fehlinterpretationen. So haben viele Kinder feuerspuckende Vulkane gemalt", so Götz.

Kinderfragen bleiben häufig offen

Diese Fragen werden in den Programmen für Erwachsene aber oft nicht beantwortet. So bleiben Kinderfragen offen, weil sie niemand stellt. Das weiß auch Volker Stennei. Der Chefredakteur des Hellweger Anzeigers hat vor rund fünf Jahren eine tägliche Nachrichten-Seite für Kinder eingeführt. Dort werden lokale und internationale Ereignisse kindgerecht aufbereitet. "Kinder bekommen die Grausamkeiten dieser Welt mit. Wir müssen versuchen, ihre Fragen zu beantworten. Kinder stellen solche Fragen, die Erwachsene oft nicht zu stellen wagen: Was passiert mit den eingestürzten Häusern, wo geht der ganze Schutt hin? Da sind hoch spannende Geschichten dabei, die wir so erklären müssen, dass sie auch Erwachsene begeistern", sagt Stennei.

Und zwar auch bei lokalen Unglücken. "Ein großer Brand in einer Kleinstadt muss Kindern ebenfalls erklärt werden. Auch da mit ganz besonderer Sensibilität und mit ganz dezenter Bildsprache", sagt Stennei. Er stelle fest, dass Redakteure in allen Gattungen noch sehr unsicher sind, was eine kindgerechte Sprache und Bildauswahl sind.

Stennei fordert: "Ich würde mir wünschen, dass in den Journalisten-Ausbildungen – vom Volontariat bis zum Studiengang – der Fokus auch auf junge Leser erweitert wird. Die heutigen Volontäre können am Ende des Volontariates für 80- und 40-Jährige schreiben oder senden, sind aber völlig unsicher, wenn sie es für Neunjährige tun sollen. Dabei müssen wir Journalisten Kinder endlich als ganz normale Leser und Hörer begreifen."


Anke Vehmeier ist freie Journalistin.