Mehr als 100 Tote bei syrischem Einsatz gegen Revolte
Panzer rücken in die Hochburg des Widerstands gegen das Assad-Regime ein. Augenzeugen sprechen von einem Blutbad. Die Führung in Damaskus unternimmt einen weiteren Anlauf, die Proteste brutal zu ersticken.

Neues Blutvergießen in Syrien: Das Regime von Präsident Baschar al-Assad greift vor Beginn des Fastenmonats Ramadan hart durch und schickt seine Panzer in die Widerstandshochburg Hama. Mindestens 97 Menschen wurden bei der am Sonntagmorgen begonnenen Militäroffensive gegen die viertgrößte Stadt des Landes getötet. Über 100 weitere erlitten Verletzungen, berichteten syrische Aktivisten in Beirut.

Auch in anderen Landesteilen ließ das Regime die Waffen sprechen. Gepanzerte Armeeverbände rückten in die Ortschaft Harak in der südlichen Provinz Daraa, in die nordöstliche Stadt Deir al-Zor und in den Vorort Al-Moadamija bei Damaskus ein. Insgesamt seien an diesem blutigen Sonntag in ganz Syrien 124 Menschen getötet worden, berichteten die Aktivisten.

In Hama drangen die Truppen im Morgengrauen ein. Zuvor hatten Spezialisten die Strom- und Wasserversorgung gekappt. Panzer sollen in Wohngebiete gefeuert, Scharfschützen auf Hausdächern Stellung bezogen haben. Die Panzer überrollten Hunderte Barrikaden, die die Bewohner der Stadt in den vergangenen Wochen errichtet hatten, wie Augenzeugen berichteten.

Keine unabhängige Bestätigung für die Berichte

"Es regnete Granaten über die Stadt, die Soldaten schossen auf alles, was sich bewegte", schilderte einer der Aktivisten die dramatische Lage. "Die Opferzahl steigt von Minute zu Minute." Die Truppen würden inzwischen das Krankenhaus umstellen und die Menschen daran hindern, ihre Verwundeten dorthin zu bringen.

Die Berichte konnten von unabhängiger Seite nicht überprüft werden. Vor dem Hintergrund ihrer bisherigen Tätigkeit können diese Quellen jedoch als glaubwürdig betrachtet werden. Das Regime in Damaskus lässt ausländische Journalisten praktisch nicht im Land arbeiten.

Die EU plane angesichts des neuerlichen Blutvergießens, die Strafmaßnahmen gegen die syrische Führung erneut auszuweiten, erklärte Außenminister Guido Westerwelle am Sonntag in Berlin. Die EU hat bislang 30 Vertreter des Regimes mit einem Einreiseverbot belegt, darunter Machthaber Baschar al-Assad selbst. Zudem wurden deren Vermögenswerte eingefroren.

Aus Hama hatten sich Assads Sicherheitskräfte vor mehreren Wochen völlig zurückgezogen. Seitdem fanden dort regelmäßig stark besuchte Demonstrationen gegen das Assad-Regime statt. Im Jahre 1982 war die Stadt Schauplatz der grausamen Unterdrückung einer Islamistenrevolte durch Assads Vater Hafis gewesen. Dabei waren je nach Schätzung 10.000 bis 30.000 Bewohner getötet worden.

Demonstranten protestieren seit viereinhalb Monaten

An diesem Montag beginnt in den meisten arabischen Ländern, so auch in Syrien, der Fastenmonat Ramadan. Syrische Aktivisten hatten für den heiligen Monat tägliche Proteste gegen das Assad-Regime angekündigt. Bisher fanden diese vor allem freitags statt. Im Ramadan besuchen die Gläubigen oft jeden Abend ihre Moscheen. In Syrien sind diese häufig Ausgangspunkte der Proteste.

Trotz seines immer wieder brutalen Vorgehens vermochte das Regime in Damaskus die seit viereinhalb Monaten aktive Demokratiebewegung nicht zu unterdrücken. Nach dem Blutbad in Hama riefen syrische Aktivisten zu neuen landesweiten Demonstrationen nach dem Nachtgebet auf, das in der Nacht zu diesem Montag den Ramadan einleitet.

Die Forderungen der Demonstranten hatten sich anfangs auf grundlegende politische Reformen in dem vom Assad-Clan autoritär gelenkten Staat gerichtet. Als sich die Führung dagegen taub stellte und mit brutaler Gewalt gegen die Kundgebungen der Bürger vorging, zielten die Proteste zunehmend auf einen Abgang des Regimes ab. Zuletzt waren am Freitag im ganzen Land Hunderttausende Syrer mit dieser Forderung auf die Straße gegangen.

Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen wurden rund 1.600 Zivilisten und 350 Angehörige der Sicherheitskräfte getötet. 26.000 Menschen wurden festgenommen und in vielen Fällen gefoltert. Über 12.000 seien immer noch in Haft.

dpa