Arabien zwischen Ramadan und Revolution
Bislang war der heilige Monat der Muslime in den arabischen Ländern stark vom modernen Konsumdenken durchdrungen. Doch die Umstürze und Rebellionen zwischen Tunis und Damaskus haben fast alles verändert. Verzicht und Besinnung finden wieder zueinander.
29.07.2011
Von Gregor Mayer

Die Miene von Rafik Thebit, Verkäufer im trendigen Kairoer Innenstadtladen "Blue Nile", verdüstert sich, wenn die Rede auf die Umsätze kommt. "Die gestiegenen Preise halten die Leute von Großeinkäufen ab", sagt er leicht resigniert. Eine Woche vor Beginn des Ramadan, des heiligen Monats im Islam, würden sich die Menschen bei ihren Einkäufen im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren deutlich zurückhalten. "Ein halbes Kilo Dörrfrüchte kostete vorher 10 Pfund (1,17 Euro) - jetzt 14. Der Kilopreis für Zucker sprang sogar von 2,75 auf 7 Pfund", beziffert der Ladenangestellte präzise die Misere in der umsatzstärksten Zeit des Jahres.

Am Abend wird das Fasten gebrochen

Im Ramadan, der in den meisten islamischen Ländern am 1. August beginnt, fasten die gläubigen Muslime von Sonnenaufgang bis zu ihrem Untergang. In der selben Zeit enthalten sie sich auch des Trinkens, Rauchens und sexueller Handlungen. Die Selbstkasteiung soll die Menschen zu Einkehr und Besinnlichkeit bringen. Das Fastenbrechen am Abend (Iftar) wird im Freundes- und Familienkreis festlich begangen.

Die Welt der Muslime kann und will sich aber globalen Trends nicht verschließen: in jüngster Zeit wurden Iftar und Ramadan-Einladungen zunehmend auch zu einem Fest des Konsums. Nächtliches Fernsehen wurde zum aufregenden familiären Ramadan-Event. Die in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten entstandenen privaten arabischen Fernsehkanäle starten ihre neuesten Soaps und Serien just in jenem Monat. Das Anzeigengeschäft beschert ihnen in dieser Zeit besonders fette Einnahmen.

So war es bisher - doch dieser Ramadan ist anders. Denn erstmals bricht er über die arabische Welt herein, seit diese damit begonnen hat, ihre Despoten und autoritären Regime abzuschütteln. Die Ägypter und Tunesier vertrieben um die Jahreswende ihre Langzeit-Präsidenten von der Macht. Besonders am Nil ringt man mit den mächtigen Überresten des Ancien Régime um eine demokratische Zukunft. Die Syrer und Libyer sind noch in einen blutigen, scheinbar zu einem Patt verurteilten Kampf mit ihren Tyrannen verstrickt.

"Alle sind verunsichert"

In Ägypten ist jetzt wenig vom Konsumfieber der vergangenen Jahre zu spüren. Umsturz, Straßenblockaden, Streiks und massive Ausfälle im Fremdenverkehr gingen den Bürgern an die ökonomische Substanz. "Alle sind verunsichert", meint "Blue Nile"-Verkäufer Thebit. "Die Leute halten ihr Geld zurück. Die Hersteller produzieren weniger, weil sie Angst haben, auf der Ware sitzen zu bleiben. Wir haben kaum etwas auf Lager und bestellen nach Bedarf. Auch das treibt die Preise in die Höhe."

Auf dem Tahrir-Platz in Kairo, dem Epizentrum der Revolution gegen Präsident Husni Mubarak, haben sich die Demokratieaktivisten Anfang Juli zu einer Dauerbesetzung niedergelassen. Sie wollen ihren unerfüllten Forderungen nach echten Justiz- und Polizeireformen Nachdruck verleihen. Noch weiß niemand, ob die bunte Zeltstadt auch im Ramadan stehen wird.

Der Regisseur Ahmed Ibrahim und seine Schauspieler machen hier politisches Theater und bringen den ihnen zugelaufenen Straßenkindern Lieder bei. Sie planen bereits für den heiligen Monat vor. "Wir werden den traditionellen Weckruf für das Frühstück vor Sonnenaufgang (Sahur) hier am Platz übernehmen", kündigt Ibrahim an. An etlichen Zelten hängen jedenfalls schon die bunten Ramadan-Laternen (Fanus).

Bedeutung des Märtyrertodes

Offen ist, was der Ramadan für die noch unentschiedenen Konflikte in Syrien und Libyen bedeutet. Die Gegner von Baschar al-Assad und Muammar al-Gaddafi sind auch stark religiös motiviert. Im islamischen Denken hat der Märtyrertod im Ramadan besonderes Gewicht. In Libyen könnte das Fasten am Tag die bewaffneten Aufständischen aber auch in ihren Aktionen bremsen. Zwar nehmen die Vorschriften jene, die im Krieg stehen, ausdrücklich von der Fastenpflicht aus. Doch oft wollen diese Kämpfer sich selbst und anderen beweisen, dass sie auch diese zusätzliche Erschwernis meistern.

In Syrien ringen die Bürger unbewaffnet mit den Schergen des Regimes. Die Moscheen waren schon bislang die natürlichen Zentren des Widerstands gegen das Assad-Regime. Im Ramadan finden sich die Gläubigen nicht nur wie sonst am Freitag, sondern an jedem Abend in den Gotteshäusern ein, um gemeinsam zu beten - und gemeinschaftliche Angelegenheiten zu diskutieren. Das könnte zum Ausgangspunkt neuer, intensivierter Proteste werden. Syrische Aktivisten gaben bereits die Parole aus: "Im Ramadan ist jeden Tag Freitag!"

dpa