TV-Tipp des Tages: "Halbzeit" (3sat)
"Halbzeit" zeigt jenseits des ergebnis- und erlebnisorientierten "Sportschau"-Fußballs die Kehrseite des Sports. Regisseur Christoph Hübner verzichtet dabei auf jeden Kommentar, zu Wort kommen allein die Spieler.
29.07.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Halbzeit", 31. Juli, 21.40 Uhr im 3sat

Einst waren sie bereit, alle Gipfel zu stürmen. Mit 16, 17 Jahren galten sie als die Größten: mehrfach deutscher Meister mit den Jugendmannschaften von Borussia Dortmund, Juniorennationalspieler, WM-Teilnehmer. Francis Bugri lief bei der Weltmisterschaft1997 gemeinsam mit Sebastian Deisler und Roman Weidenfeller auf und wurde ins All-Star-Team gewählt. Für den BVB hat er sogar mal in der Champions-League gespielt. Einen Profivertrag hat er trotzdem nie bekommen. "Zu lieb", sagen die Trainer. "Zu lieb", sagt sogar seine Mutter.

1998 bis 2001 hat der Dokumentarfilmer Christoph Hübner einen Film über Bugri und seine Altersgenossen gedreht. "Champions" hieß das Werk. Damals war der Titel durchaus treffend. Heute klingt er wie Hohn. Keiner der Kicker hat die in ihn gesetzten Hoffnungen erfüllen können. Wenn überhaupt, dann spielen sie heute unterklassig. Heiko Hesse ist einen ganz anderen Weg gegangen: Er hat BWL studiert, immerhin in Oxford, und arbeitet jetzt für die Weltbank in Washington. Dem Fußball ist er zwar treu geblieben, aber nur als Freizeitsportler. Bugri musste erst die Erfahrung machen, bis in die Landesliga durchgereicht zu werden, ehe ihm klar wurde, dass er nach einer Alternative Ausschau halten muss: Sportmanagement, Fernstudium.

In Schwarzweiß gehaltene Rückblenden

Hübners zweiter Film über die einstigen Talente heißt "Halbzeit", denn in einigen Jahren will er sie ein drittes Mal aufsuchen. Womöglich muss er dann nach Ghana reisen, um zu erfahren, was aus Mohammed Abdulai geworden ist. Der Afrikaner glaubt am hartnäckigsten von Hübners Kickern an seine Chance: Irgendwann kommt das Glück, sagt er immer wieder. Bei Claudio Chavarria kam es nie, zumindest nicht auf deutschen Fußballplätzen; Hübner stöberte den Chilenen irgendwo in Südamerika auf.

Es passt ins Bild, dass der Film keinerlei Spielszenen mit Bugri und Abdolai enthält. Statt dessen ist der Ghanaer des öfteren bei Aus- oder Einzügen zu sehen. Die in Schwarzweiß gehaltenen Rückblenden in die Erfolgsjahre lassen die Gegenwart um so bitterer wirken. Auf der großen Bühne darf allein Florian Kringe aufspielen. Der hatte in "Champions" nur eine Randrolle und ist nun in Hübners Kader gerückt. An seiner Person verdeutlicht der Regisseur, dass selbst die Unterschrift unter den begehrten Profivertrag noch lange keine Garantie dafür ist, dass man es geschafft hat. Vollmundig formuliert Kringe, der sogar ins Perspektivteam für die WM 2006 berufen worden ist, seine Ziele: Nationalmannschaft und Titel sammeln. Zwei Mittelfußbrüche machten den Träumen ein vorläufiges Ende.

"Halbzeit" zeigt jenseits des ergebnis- und erlebnisorientierten "Sportschau"-Fußballs die Kehrseite des Sports. Hübner verzichtet dabei auf jeden Kommentar, zu Wort kommen allein die Spieler. Ein Lehrstück für alle, die glauben, überdurchschnittliches Talent reiche aus, um Karriere zu machen.

 


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).