"Der Mauerschütze", 29. Juli, 20.15 Uhr auf Arte
Eigentlich ist es ein Widerspruch in sich: Von einer Tragödie erwartet man in der Regel nicht, dass sie kurzweilig ist. Aber Kurzweiligkeit steht ja nicht automatisch für leichte Unterhaltung. Davon kann bei dieser Geschichte ohnehin keine Rede sein: Kurz vor der "Wende" hat ein junger Mann als Grenzpolizist einen "Republikflüchtling" erschossen. Viele Jahre später macht sich Stefan Kortmann, mittlerweile Arzt in der Onkologie, auf die Suche nach Silke Strehlow, jener Frau, die damals schwerverletzt überlebte: Die Last der Schuld ist zu erdrückend geworden. Doch als er ihr schließlich an der Ostsee gegenübersteht, schafft er es nicht, ihr die Wahrheit zu sagen.
So weit, so nachvollziehbar. Die Inhaltsergänzung, dass sich die Frau nun ausgerechnet in den Mörder ihres Mannes verliebt, klingt dagegen abschreckend kitschig. Und doch erzählt Regisseur Jan Ruzicka (nach einem Drehbuch von Hermann Kirchmann, Scarlett Kleint und Alfred Roesler-Kleint) diese Entwicklung ganz plausibel: weil die Witwe einerseits endlich mit der Vergangenheit abschließen will und andererseits förmlich überrumpelt wird vom Mitgefühl des Fremden.
Mit Annika Kuhl und Benno Fürmann
Dass man die Konstruiertheit der Handlung klaglos hinnimmt, ist neben Ruzickas zurückhaltender, fast schon betont um Neutralität bemühten Inszenierung vor allem den Darstellern zu verdanken. Annika Kuhl spielt sehr nachvollziehbar und dennoch dosiert das Aufblühen dieser Frau, die sich viel zu lange als Opfer definierte, weil ihr Dasein 17 Jahre lang von dem traumatischen Erlebnis überschattet war. Für den Täter gilt das nicht minder. In Filmen wie "Wolfsburg" oder "Jerichow" hat Benno Fürmann bewiesen, dass er neben seiner bekannt großen physischen Präsenz auch das Zwischenspiel beherrscht, die leisen Töne, die ein Darsteller eher vermittelt als verkörpert. Deshalb ist Kortmann in all seiner Zerrissenheit trotzdem Identifikationsfigur und Sympathieträger.
Ergänzt wird das Protagonistenpaar um zwei wichtige Nebenfiguren, die enorm zur Charakterisierung der Hauptfiguren beitragen. Kortmann fährt überhaupt nur deshalb an die Ostsee, weil ein dem Tode geweihter junger Krebspatient Paul (Max Hegewald) vom Arzt will, wie seine letzten Tage verbringen würde. Da der junge Mann nichts zu verlieren hat, fährt er kurzerhand mit; und verliebt sich prompt in Sunny (Lotte Flacke), Silkes aufmüpfige Tochter.
Ruzicka ("Die Frau des Frisörs"), der aus typischen ARD-Frauenstoffen ("Den Tagen mehr Leben!", "Annas Geheimnis") regelmäßig mehr rausholt, als eigentlich drinsteckt, führt auch das junge Paar ganz ausgezeichnet. Diese Erzählebene mit ihrer nicht minder aussichtslosen Liebe ist ja potenziell noch ungleich melodramatischer. Auch hier aber lässt der Regisseur seine Darsteller lieber sparsam agieren. Auf diese Weise spielen Hegewald und Flack die Romanze aller Tragik zum Trotz sehr lebensnah; und nicht minder berührend.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).