Countdown US-Schuldenstreit: Vielen wird mulmig
Obama und sein Widersacher Boehner kreuzen im Schuldenstreit die Klingen - und haben dabei auch die Wahl 2012 im Kopf. Inzwischen regen sich Zweifel, dass ein Durchbruch noch rechtzeitig gelingt. Haben die Streithähne überreizt, ist es zu spät?
26.07.2011
Von Gabriele Chwallek

Inzwischen wird es vielen in Washington doch mulmig beim Blick auf den Kalender. Nicht ein Hauch von Annäherung war wenige Tage vor Ablauf der Frist zu Erhöhung des Schuldenlimits zu spüren, als sich Präsident Barack Obama und sein republikanischer Widersacher John Boehner im Schuldenstreit zur Hauptfernsehsendezeit an die Nation wandten. Im Gegenteil: Beide Seiten teilten Breitseiten aus, gruben sich womöglich noch tiefer in ihre Stellungen ein.

"Politischen Krieg" warf Obama den Konservativen in seiner Rede in der Nacht zum Dienstag und ein "gefährliches Spiel" vor mit dem Risiko, eine schwere Wirtschaftskrise auszulösen. Boehner konterte: Es sei die "traurige Wahrheit", dass Obama und dessen Demokraten einen Blankoscheck für ihre Ausgaben haben wollten, "und das wird schlicht nicht geschehen".

Wie geht es also jetzt weiter? Experten zucken mit den Schultern. Noch vor wenigen Tagen herrschte allenthalben die Erwartung, dass sich die Streithähne am Ende doch zusammenraufen. Nicht nur, weil politische Dramen bis zur letzten Minute bei großen Gesetzgebungsvorhaben in Washington schon fast gang und gäbe sind, eine Einigung kommt oft erst fünf vor Zwölf. Der Optimismus gründete sich vielmehr darauf, dass einfach zu viel auf dem Spiel steht: Ohne Übereinkunft droht der Sturz in eine neue Rezession.

Der Kompromiss rückt weiter weg

Aber diesmal, fürchten jetzt manche, könnten beide Seiten sich so in die Sackgasse manövriert haben, dass ein Ausweg kaum noch zu finden ist - zumindest nicht rechtzeitig oder in einer Form, die den USA die Herabstufung der Kreditwürdigkeit ersparen könnte. "Wenn ich heute gefragt werde, ob es einen Kompromiss gibt, muss ich ehrlich sagen, ich weiß es nicht", sagt der demokratische Stratege James Carville. "Vor wenigen Tagen hätte ich das nicht gesagt." Auch ein demokratischer Senator, der anonym bleiben will, zeigt erstmals Unsicherheit. "Die Folgen einer Zahlungsunfähigkeit sind einfach so unvorstellbar, dass es eine Einigung geben muss", meint er. "Aber die Landebahn wird zweifellos immer kürzer."

Was macht einen Sieg der Vernunft diesmal so besonders schwer? Unabhängige Experten sind sich über die Gründe weitgehend einig: Es sind die Machtverschiebungen im Kongress, und dann wirft der Wahlkampf seine Schatten voraus. Beide Seiten haben ihre Basis im Auge, "ideologische Grundsätze und taktische Manöver spielen eine größere Rolle als es sonst der Fall wäre", sagt Politanalytiker David Gergen. Das gilt nach Ansicht vieler Experten vor allem für die Republikaner, die im Fall eines umfassenden Spar-Kompromisses ihr wohl wertvollstes Wahlkampf-Kanonenfutter verlieren würden: die Kritik an der "Verschwendungssucht" Obamas und seiner Demokraten.

Boehner sitzen zudem die Radikalen von der "Tea Party" im Nacken, die die Regierung am liebsten zu einem Nichts schrumpfen lassen würden. Am Dienstag wusste der Präsident des Abgeordnetenhauses nicht mal, ob er in der eigenen Fraktion die nötigen Stimmen für seinen Schulden-Plan zusammenbekommt. Umfragen zeigen unterdessen, dass die Bevölkerung von dem Washingtoner Hickhack die Nase gestrichen voll hat. Aber die Unzufriedenheit richtet sich zumindest derzeit stärker gegen die Republikaner als gegen die Demokraten.

"Republikaner haben die Nation aus dem Blick verloren"

Diese Stimmungslage spiegelt sich auch in den US-Medien wider. "Die Republikaner im Abgeordnetenhaus haben das Wohl der Nation aus dem Blick verloren", beklagte etwa die "New York Times". Dabei seien den Konservativen eine Reihe von Zugeständnissen gemacht worden, hieß es weiter mit Blick auf die - wenn auch zähneknirschende - Bereitschaft der Demokraten, auch ins soziale Netz zu schneiden. "Dieses zunehmend fahrlässige Spiel hat die Nation an den Rand ruinöser Zahlungsunfähigkeit gebracht."

Auch das konservative "Wall Street Journal" nimmt die Republikaner ins Gebet. Das Spektakel eines "dysfunktionellen Washington" liege zum Teil "an der wachsenden überzogenen Parteilichkeit im Kongress, insbesondere des Abgeordnetenhauses".

Obama hofft weiter auf einen Durchbruch: "Ich bin überzeugt davon, dass wir einen Kompromiss erreichen können." Aber auch wenn er noch kommt, kann es sein, dass der "politische Krieg" wirtschaftliche "Kollateralschäden" nach sich zieht. Große Ratingagenturen wie Standard & Poor's haben klar gemacht, dass sie mehr wollen als eine zeitgerechte Anhebung der Schuldengrenze, um es bei der bisherigen Topbonität der USA zu belassen. Sie wollen konkrete Maßnahmen zum Schuldenabbau sehen, von vier Billionen Dollar etwa spricht S&P. Das ist der Umfang des Pakets aus Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen, das Obama schnüren will - und das die Republikaner vehement ablehnen. Mit der AAA-Kreditwürdigkeit könnte es also auch dann vorbei sein, wenn sich die Streitparteien am Ende auf einen Minimalkompromiss einigen.

dpa