Zuviel Fernsehen macht dick und dämlich – davon sind zahlreiche Medienexperten, Psychologen und Pädagogen überzeugt. Doch ein hoher TV-Konsum macht auch unzufrieden, wie neue Studien jetzt herausgefunden haben. Der Grund: Wer viel in die Glotze guckt, vergleicht den materiellen Wohlstand oder das gute Aussehen von Fernsehfiguren automatisch mit seinen persönlichen finanziellen Verhältnissen und seinem eigenen Äußeren – und das verursacht häufig Frust. "Wenn das Fernsehen die Welt der Schönen und (Erfolg-)Reichen präsentiert, fällt für die Zuschauer der Vergleich mit dem eigenen Leben meist negativ aus", schreibt der Medienwissenschaftler Uli Gleich, der für den ARD-Forschungsdienst neue Untersuchungen zum Thema ausgewertet hat.
Tatsächlich herrscht vor allem in fiktionalen Formaten wie Spielfilmen oder Serien häufig ein beachtlicher materieller Wohlstand, zudem wird nicht selten eine soziale Realität vorgegaukelt, die es gar nicht gibt: Da wohnt der Hauptkommissar aus dem TV-Krimi im teuren Designerappartement, der jobsuchende und völlig abgebrannte Held der Seifenoper fährt einen flotten Sportwagen und die geschiedene alleinerziehende Mutter auf der Suche nach ihrem Mr. Right trägt in der romantischen US-Komödie das todschicke Seidenkleid eines Edelschneiders.
Topmodels besonders frustrierend
Mehrere vom Medienexperten Gleich ausgewertete amerikanische Studien, für die Hunderte Personen befragt wurden, wiesen jetzt nach, dass viele Fernsehzuschauer den dargebotenen Luxus häufig mit den eigenen finanziellen Möglichkeiten abgleichen – und wegen der Diskrepanz zwischen Alltag hie und Glamour dort verständlicherweise unzufrieden sind. Personen mit geringem Einkommen und Zuschauer, die sich mit Haut und Haaren auf das gezeigte Geschehen einlassen, sind freilich wesentlich anfälliger für den vom Fernsehen verursachten Frust als besser situierte oder distanziertere Zuseher, die das Ganze etwas gelassener sehen.
Doch nicht nur auf Haus, Auto und Yacht so mancher Fernsehfigur sind Zuschauer unbewusst neidisch, sondern auch auf das gute Aussehen von TV-Stars. Die amerikanische Psychologin Angela Kay Belden etwa befragte 310 Zuschauer im Durchschnittsalter von knapp 40 Jahren zu ihren TV-Gewohnheiten und ihren Einstellungen gegenüber dem eigenen Aussehen. "Es zeigte sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen hohem Fernsehkonsum und der Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper" fasst Uli Gleich das Ergebnis der Studie zusammen.
Besonders frustanfällig waren in diesem Zusammenhang Zuschauerinnen, die sich etwa regelmäßig die langbeinigen jungen Schönheiten in Castingshows wie "America's Next Topmodel", dem amerikanischen Vorbild zu Heidi Klums "Germany's Next Topmodel", anschauten. Ausgesprochen unzufrieden mit dem eigenen Äußeren waren der Studie zufolge auch die Anhängerinnen von Hochglanzserien wie „Sex and the City“ mit Sarah Jessica Parker, in denen topmodisch gekleidete und gut aussehende Damen die Hauptrolle spielen.
Die Grenze zwischen realen und fiktiven Menschen verschwimmt
Natürlich wissen die meisten Fernsehzuschauer, dass es sich bei den schicken Serienladys aus Manhattan und anderen Fernsehheldinnen und -helden um fiktionale Figuren handelt, die mit der eigenen Lebenswelt zunächst einmal überhaupt nichts zu tun haben. Doch die Suggestivkraft des Fernsehens bewirkt, dass es in vielen Fällen trotzdem zum verhängnisvollen Abgleich kommt, denn: „Soziale Urteile und Prozesse in Bezug auf die Darsteller im Fernsehen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen ähneln denen, die auch in der wirklichen Welt stattfinden“, schreibt Uli Gleich.
So zeigen Studien, dass für Menschen mit einem ausgeprägten Fernsehkonsum die Unterschiede zwischen realen Menschen aus dem nächsten sozialen Umfeld und fiktiven Figuren häufig verschwimmen. Zum Glück aber gibt es ein probates Gegenmittel, das sich mithilfe jeder Fernbedienung problemlos anwenden lässt: den wohlhabenden TV-Schönheiten einfach öfter mal den Saft abdrehen und dafür lieber einen Abend mit echten Menschen verbringen.
Martin Weber ist Medien- und Fernsehjournalist in Berlin.