"Als der Fremde kam", 26. Juli, 20.15 Uhr im 3sat
Eine merkwürdige Stimmung legt sich über diesen Film. Obwohl sich die Geschichte ausdrücklich in der Gegenwart zuträgt, fühlen sich die Bilder viel älter an. Eine gleißende Helligkeit lässt einen die Hitze, die sich über der rheinischen Provinzlandschaft ausbreitet, förmlich spüren. In dieser Atmosphäre ist alles möglich. Gewalt liegt ebenso in der Luft wie Leidenschaft. Der stille, so beherrscht wirkende Gewerkschaftsfunktionär Robert Stubenrauch (Götz George) scheint für beides jedoch nicht empfänglich. Trotzdem ist er es, der das Signal gibt: Um gegen die unausweichliche Schließung ihres Zementwerks zu protestieren, gehen die Arbeiter in einen unbefristeten Hungerstreik. Auch wenn Stubenrauch das so nicht geplant hat: Nun ist der Weg frei, um mit Anne, der Frau des Wortführers, anzubandeln.
Ein brillianter Götz George
Götz George, der unter der Regie von Andreas Kleinert schon als Alzheimer-erkrankte Titelfigur des Dramas "Mein Vater" eine seiner besten Leistungen der letzten Jahre geliefert hat, ist erneut brillant. In einer Mischung, die gleichzeitig Unbeholfenheit und jungenhaften Charme, aber auch ein Leben mit vielen Enttäuschungen signalisiert, spielt er feinfühlig wie lange nicht mehr. Dagmar Manzel ist ihm eine kongeniale Partnerin: wie eine Verdurstende schöpft Anne durch die Affäre neue Kraft. Dritter im Bunde ist Christian Redl als grobschlächtig wirkender Arbeiter, der gleichfalls überraschend sensible Seiten offenbart.
Doch der Star ist in diesem Fall der Regisseur. Kleinert ("Klemperer"), mit Preisen überhäuft, hält seinen Film ständig in der Schwebe. Deshalb überkommt die Leidenschaft das Liebespaar aus ebenso heiterem Himmel wie das Unwetter, das gleichzeitig über die beiden hereinbricht; allerdings flirrte die Luft schon zuvor geradezu vor Lust, denn Annes Schwiegermutter Elfie (Gudrun Ritter) hat ebenfalls ein Auge auf den stattlichen Gast der Familie geworfen.
Neben dem reizvollen tragikomischen Grundgerüst überrascht Kleinert immer wieder mit kleinen Geschichten am Rande. Ungemein hübsch ist beispielsweise die Szene, in der Robert und Elfie feststellen, dass beide regelmäßig den selben Flirt-Chat im Internet besuchen; oder wenn Robert und Anne eine Matratze in ihr Liebesnest tragen und Anne den Geliebten gegenüber dem Vermieter kurzerhand zum Bettenverkäufer macht. Am schönsten ist jedoch der Wandel des zunächst doch eher traurigen Helden. Anders als im klassischen Arbeiterfilm aber ist die politische Botschaft wegen des unvermeidlich wenig erbaulichen Ende des Arbeitskampfs wenig erbaulich.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).