Loveparade: Schock und Trauer noch im Herzen
In einer bewegenden Gedenkfeier in der Duisburger MSV-Arena haben Teilnehmer der Loveparade, eine Mutter und Helfer über Angst, Trauer und Schmerz gesprochen. Ihre Worte rührten Hunderte zu Tränen - und der Himmel über Duisburg weinte mit.
24.07.2011
Von Andreas Rehnolt

Als sie über ihre Freundin spricht, kann Ella Seifer ihre Gefühle nicht mehr zurückhalten. Mit tränenerstickter Stimme spricht die junge Frau über Panik, Ängste und Schmerzen bei der Loveparade vor einem Jahr in Duisburg. Sie selbst überlebte schwer verletzt. Prellungen und Quetschungen hätten sie kaum atmen lassen, sagt sie am Sonntagnachmittag bei der Gedenkfeier zum ersten Jahrestag des Unglücks, bei dem 21 junge Menschen starben, in der Duisburger MSV-Arena. "Es hätte auch uns treffen können."

Auch der trüb-graue Himmel, aus dem immer wieder Regentropfen fielen, scheint in der Revierstadt zu trauern mit den Hinterbliebenen, Überlebenden und zahlreichen Helfern, die genau ein Jahr nach der Tragödie erneut nach Duisburg gekommen sind. "Die Gestorbenen werden vermisst. Sie fehlen unserem Leben", sagte der Essener Weihbischof Franz Grave. Die Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Petra Bosse-Huber, stellt fest "Die Narben bleiben, und sie brennen." Tausende trügen auch heute noch "den Schock und die Trauer in ihren Herzen".

Auf einer kleinen, weiß gehaltenen Tribühne dankt Bosse-Huber im Namen der Betoffenen allen Helfern für das, "was Menschen an dem Tag der Katastrophe für ihre Kinder und Freunde getan haben und für die Hilfe und Begleitung, die nach dem 24. Juli 2010 ihnen als Angehörigen zuteil wurde". Spätestens bei diesen Worten wischen sich viele im Stadionrund Tränen aus dem Gesicht.

Mutter spricht von "einem imensen, endlosen Schmerz"

Allein 450 Hinterbliebene und Verletzte sind zudem zweistündigen Gedenken gekommen, außerdem gut 500 Polizisten, Mitarbeiter von Rettungsdiensten und etwa hundert Notfall-Seelsorger der beiden großen christlichen Kirchen. Wo sonst lautstark der Fußball-Zeitligaclub MSV Duisburg angefeuert wird, herrscht ruhiges, würdevolles Gedenken. Der Junge Chor Beckhausen singt gemeinsam mit der schwarzen Sängerin Richetta Manager in sechs verschiedenen Sprachen Strophen des Liedes "Wie ich dich sah". Die 21 Toten im Alter zwischen 18 und 39 Jahren stammten aus Deutschland, den Niederlanden, Italien, Spanien, China und Australien.

Bild links: Die Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Petra Bosse-Huber, spricht den Segen. Foto: epd-bild/Friedrich Stark.

Stellvertretend für alle Angehörigen der Todesopfer erinnert die aus Italien angereiste Nadia Zanacchi, deren Tochter Julia in dem engen Tunnel vor dem Veranstaltungsgelände der Loveparade zu Tode gequetscht wurde, an die Emotionen der jungen Menschen. Die italienische Mutter spricht von "einem imensen, endlosen Schmerz" äußert Wut und Enttäuschung. Und sie klagt an: Die Loveparade hätte in Duisburg niemals stattfinden dürfen. Andere Interessen seien höher bewertet worden als Menschenleben. "Wir warten auf eine ehrliche Geste des Respekts für unsere toten Kinder und auf Gerechtigkeit", formuliert Zanacchi.

Dann erheben sich die Menschen von ihren Plätzen, die Namen und das Alter der 21 Todesopfer werden vorgelesen. Rettungskräfte legen für jedes Todesopfer eine große Sonnenblume in ein aus Sonnenblumen geformtes Herz auf dem Rasen. Dazu fallen Regentropfen. "Der Himmel weint mit uns, danke, dass Ihr da seid", sagt Notfallseelsorger Uwe Rieske von der rheinischen Kirche mit Blick auf die Blumen, die die Toten symbolisieren. Nach einer Schweigeminute für die Opfer singt "Der Graf" von der Band "Unheilig" das von Angehörigen gewünschte Lied "Geboren um zu leben".

Hannelore Kraft bittet um Hilfe für alle, die Fehler machten

Der Rettungssanitäter Daniel Otto, beim Unglück vor einem Jahr im Einsatz war, schildert die ersten Stunden der Hilfe "als Wettlauf gegen die Zeit". Als Vertreterin der Duisburger Bürgerschaft sagte Gabriela Grillo, der 24. Juli 2010 sei "ins kollektive Gedächtnis unserer Stadt eingebrannt". Keiner werde diesen schrecklichen Tag jemals vergessen. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) bittet in einer von sieben Fürbitten auch um Hilfe "für alle, die Fehler gemacht haben", und mahnt: "Es braucht Wahrheit, Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit, damit Trost und Versöhnung eine Chance haben."

Bild links: Die Besucher der Gedenkfeier in der Duisburger MSV-Arena halten sich an den Händen. Foto: epd-bild/Friedrich Stark

Beim gemeinsamen Lied "Somewhere over the rainbow" fassen sich schließlich alle Menschen im Stadionrund an den Händen. Überlebende und Hinterbliebene treten anschließend den schweren Weg zum Unglücksort an - dem Tunnel Tunnel in der Karl-Lehr-Straße, wo bereits in der Nacht zum Sonntag 1.200 Kerzen entzündet wurden. An die Toten erinnern dort Fotos und 21 Kreuze. Im Stadion erklingt zum Abschluss ein Techno-Song - eine Erinnerung daran, dass vor einem Jahr in Duisburg alle auf ein unbeschwertes Musikfest gehofft hatten. Kurz danach läuten die Glocken aller Duisburger Kirchen.

epd