Wort zum Sonntag: Ein "christlicher Fundamentalist"?
Es soll ein christlich-fundamentalistischer Rechtsextremist gewesen sein, der am Freitag in Norwegen fast hundert Menschen umbrachte. "Was für einen Glauben nimmt dieser Mann für sich in Anspruch?", fragt Pfarrerin Adelheid Ruck-Schröder aus Saarbrücken in ihrem Wort zum Sonntag.
23.07.2011
Von Pfarrerin Adelheid Ruck-Schröder

Oslo und Utoya. Seit gestern sind das Orte des Schreckens: Ein zerstörtes Regierungsviertel, sieben Tote; ein Sommercamp, das zur Hölle wurde, weil ein einziger Mann 85 Jugendliche niederschoss. Die Polizei hat jetzt den mutmaßlichen Täter festgenommen: Ein christlicher Fundamentalist mit rechten Überzeugungen. So heißt es.

Und dazu soll ich nun ein Wort zum Sonntag zu Ihnen sprechen. Das fällt mir schwer. Denn das Ausmaß des Terrors ist so groß, dass ich kaum glauben kann, dass ein einzelner Mensch dazu fähig ist. Einer, der sich selbst auch noch als christlich beschreibt. Der Mann wollte der Polizei gegenüber seine Motive darlegen. Irgendwie möchten wir alle ja eine Erklärung. Aber im Grunde kann kein Motiv die Opfer aufwiegen. Die toten jungen Menschen, ihre Familien, ihre Trauer - da wirkt doch jedes scheinbar noch so starke Motiv wie Hohn.

Mir wird fast schlecht, wenn ich lese, was der Täter im Internet veröffentlich hat: Er schreibt: "Der Glaube eines einzelnen Menschen ist gleich wie die Kraft von 100.000, die nur Interessen haben." Was für einen Glauben nimmt dieser Mann für sich in Anspruch? Einen Glauben, der im Töten endet? Das ist nicht mein Glaube. Das ist nicht mein christlicher Glaube.

Er schätzt den Tod höher als das Leben

Es ist ein fundamentalistischer Glaube. Fundamentalisten, egal welcher Couleur, dulden keine Widersprüche. Sie können die lebendige Auseinandersetzung nicht ertragen. Sie können überhaupt das Leben nicht zulassen. Da läuft etwas grundsätzlich schief, wenn Gedanken extrem werden, ob sie nun christlich, islamisch, rechts- oder linkspolitisch sind. Sie führen dazu, dass sich Menschen radikalisieren. Wer fundamentalistisch denkt, schätzt leicht den Tod höher als das Leben.

Der Täter von Oslo, vielleicht waren es ja auch mehrere, er hat seine Mordobjekte gezielt ausgesucht: Das Regierungsviertel in Oslo ist Sitz einer Demokratie. Demokratie ist immer etwas Lebendiges. Da werden Kompromisse ausgehandelte, Widersprüche diskutiert, Grundwerte verfochten. Genau ins Herz dieser lebendigen Demokratie hat der Täter getroffen.

Und die Ferieninsel Utoya, auch sie steht mit seinem Jugendcamp für Leben, für junge Menschen, für lebendige Beziehungen. Genau ins Herz dieses pulsierenden Lebens hat der Täter getroffen. Er wurde damit zum Anwalt des Todes. Nimmt er dafür einen Gott für sich in Anspruch? Dann ist das ein Götze des Todes.

Gott ist auf der Seite der Lebenden

Aber wo ist mein Gott, der Gott an den ich glaube, der christliche Gott? - Ganz tief in mir drin hätte ich mir gewünscht, dass er sich dem jungen Mann in den Weg gestellt hätte, dass er ihn an seiner furchtbaren Tat gehindert hätte. Aber so ist es nicht gelaufen. So funktioniert diese Welt nicht. Das Böse kann sich offensichtlich immer wieder sinnlos austoben und Tote fordern.

Wenn es aber Gott gibt, und ich glaube daran, dann ist er Anwalt des Lebens. Dann war er bei der Tragödie von Oslo auf der Seite der Lebenden, auf der Seite der Jugendlichen im Sommercamp, dann ist er auch jetzt bei den trauernden Familien, die ihre Kinder beweinen.

Darin steckt mehr Leben und Glauben als in jener sinnlosen Tat. 


Adelheid Ruck-Schröder ist Pfarrerin in Saarbrücken.

Ihr Wort zum Sonntag wurde am 23. Juli 2011 im Saarländischen Rundfunk (ARD, Das Erste) gesendet.