Nach dem doppelten Terroranschlag ist Oslo wie gelähmt. Wo sonst reges Treiben herrscht, ist kaum jemand zu sehen. Nur an den Absperrungen im Regierungsviertel kommen am Samstag Gruppen von Menschen zusammen. In den Gesichtern spiegelt sich Fassungslosigkeit. Unter einem bleiernen Himmel weht die norwegische Flagge auf halbmast.
"Das ist unfassbar, zu was Menschen fähig sind", sagt Bernard Böhmer, Inhaber des Cafés Eger, das ganz in der Nähe des Anschlagsortes im Regierungsviertel liegt. Böhmer war am Freitagnachmittag in der Straße, in der auch das Finanzministerium liegt, er wollte zu seinem Auto gehen.
"Da habe ich den Knall gehört und die Druckwelle auf der Brust gespürt. Ich wurde nach hinten geschleudert. Und ich wusste sofort: Das war keine Gasexplosion, sondern eine Bombe." Explosionen von Granaten und anderen Sprengsätzen kenne er noch aus seiner Zeit als Blauhelmsoldat im Libanon.
"Das ist eine Tragödie für das ganze Land", sagt der 17-jährige Harald Jakhelln, der beim Hafenmeister an der Akerbrygge die einlaufenden Jachten einweist. "Ich war während der Bombenexplosion zu Hause, meine ganze Wohnung hat gebebt."
Auf der Straße: Blut, Schuhe, Scherben
Im Fernsehen wird gerade ein Polizeisprecher befragt, darunter die eingeblendete Zeile: "Minst 84 döde" - mindestens 84 Teilnehmer eines Jugendcamps der Sozialdemokraten wurden erschossen, vermutlich von einem Rechtsextremisten.
Die von Soldaten abgesperrte Akersgata ist mit Scherben übersät. Blut ist an der steinernen Einfassung eines Baums zu sehen, daneben liegt ein Paar schwarze Schuhe auf dem Pflaster. Das Restaurant Deli de Luca ist völlig zerstört, die Eingangstüren aus der Verankerung gerissen, die Rahmen der Glasfassade ragen ins Nichts.
Über die Querstraße hinweg ist die gläserne Fassade des Verlagsgebäudes der Zeitung "VG" auf den oberen vier der fünf Etagen herabgerissen. Darunter starrt ein unbeweglicher Zeitungsleser auf den Scherbenberg - eine Skulptur.
Vor dem Rathaus von Oslo blickt Bürgermeister Fabian Stang auf seine Stadt, die mit einem Schlag eine andere geworden ist. Wird das die für Friedensliebe und Toleranz bekannte norwegische Gesellschaft verändern? "Ich hoffe nicht", antwortet Stang. Gerade der Respekt vor den Toten gebiete es, "dass wir diese Stadt noch sicherer und offener, und den Umgang miteinander noch respektvoller gestalten". Norwegen werde diese schreckliche Situation dazu nutzen, "eine bessere Gesellschaft zu entwickeln".
Erleichterung: Es war wohl kein islamistischer Terror
"Die Gesellschaft in Norwegen ist sehr tolerant", sagt der Taxifahrer Mohammad, der seinen Nachnamen nicht nennen will. "Aber wir machen uns Sorgen wegen der Rechtsextremisten." Mohammad ist vor 19 Jahren von Pakistan nach Norwegen gekommen. Er ist erleichtert, dass sich der erste Verdacht eines islamisch-extremistischen Hintergrunds nicht bestätigt hat.
Auch Restaurant-Betreiber Böhmer sagt, er sei deswegen einerseits erleichtert. Andererseits sei es unfassbar, dass eine solche Tat aus der Mitte der norwegischen Gesellschaft heraus verübt worden sei. Das Zusammenleben mit Migranten sei völlig unproblematisch. "Ich habe sehr viele Freunde, die Muslime sind. In diesem kleinen Café sind wir sieben verschiedene Nationen, die hier arbeiten. Für mich ist das eine Bereicherung. Das fremdenfeindliche Milieu sei klein und in der Bevölkerung nicht fest verankert.
Oslo trauert. In der Domkirche kommen die Menschen zusammen, suchen Beistand in der Gemeinschaft. Vor der Kirche werden Blumen abgelegt, viele rote Rosen darunter, Kerzen und kleine norwegische Fahnen. Die Zeit steht still, Oslo hält den Atem an.