Bayreuth nach 1945: Schwere Wiedergeburt am Grünen Hügel
Wenn am Montag in Bayreuth die 100. Richard-Wagner-Festspiele eröffnet werden, steht ein weiteres Jubiläum im Blickfeld: Vor genau 60 Jahren erfolgte die schmerzhafte Wiedergeburt des Festivals nach dem Zweiten Weltkrieg. Wegen der Nähe von Winifred Wagner zu den Nationalsozialisten waren die Festspiele und der Komponist selbst in Verruf geraten. Winifred Söhne Wieland und Wolfgang brachen jedoch radikal mit der Vergangenheit, entrümpelten die Bühne und verhalfen den Festspielen ihres Großvaters auf diese Weise schnell wieder zu weltweitem Renommee. 1951 begann die Ära von "Neu-Bayreuth".
22.07.2011
Von Manfred Präcklein

Die Ausgangssituation für die beiden Brüder war alles andere als einfach. "Die Stadt Bayreuth selbst lag noch in Schutt und Asche", beleuchtete der Amerikaner Frederic Spotts das Nachkriegskapitel in seiner Festspielgeschichte. "Die Festspiele waren bankrott, und das Festspielhaus musste dringend repariert werden." Doch es fehlte vor allem eines: Geld.

Ein Sound wie von Krupp

Noch schwerer wog aber die politische Belastung: "Nach Kriegsende galt er (Wagner), obwohl über 60 Jahre tot, als Hofkomponist der Nazis, sein Werk als ideale Stimmungsmache für den großdeutschen Schlachtenlärm", schrieb Klaus Umbach zur 125-Jahrfeier der Festspiele im "Spiegel" unter der Überschrift "Das heilige Narrenfest". "Skrupellos hatten sich die braunen Machthaber für ihre Propaganda seiner effektvollen Tonsprache bemächtigt und deren theatralischen Pomp, ein Sound wie von Krupp, als martialisches Aufputschmittel missbraucht.

"Winifred Wagner machte "aus ihrer ungebrochenen Sympathie zumindest für manche Ideen und Repräsentanten des NS-Staates bis zu ihrem Tode 1980 nie einen Hehl", blickt Sven Friedrich, Chef des Richard-Wagner-Museums, zurück. Mit ihrem Verzicht auf die Festspielleitung ebnete sie deshalb den Weg für ihre Söhne. Wieland und vor allem Wolfgang Wagner gelang es, bei der Industrie die notwendigen Mittel für die Finanzierung des Neubeginns aufzutreiben.

"Am 29. Juli 1951, zur Feier der Wiedergeburt, fuhren 753 Automobile aus 22 Ländern unter einer internationalen Flaggenparade hügelan, 12.000 Bayreuther säumten die Straßen, winkten und jubelten: Erst jetzt, beim langersehnten Comeback der Promis, war für sie der Krieg richtig zu Ende", schrieb Umbach im "Spiegel". An den folgenden Tagen erlebten Wagners Bühnenweihfestspiel "Parsifal" und "Der Ring des Nibelungen" ihre Wiedergeburt.

"Bayreuth ist wieder auferstanden"

Die internationalen Kritiker waren begeistert. Ernest Newman schwärmte in der "Sunday Times" vom besten "Parsifal", den er je gesehen hatte. Bernard Gavoty schrieb im "Figaro": "Bayreuth ist wieder auferstanden: die Aura des Geheimnisvollen, die Bayreuth umgibt, ist keine Illusion. Wagner lebt noch, seine Botschaft ist nicht tot."

Wieland Wagner hatte die Bühne seines Großvaters nicht nur behutsam abgestaubt, sondern entrümpelt. Bis zu seinem frühen Tod im Oktober 1966 prägte der Enkel Richard Wagners mit seinen kargen Bühnenbildern den Begriff "Neu-Bayreuth". Die Inszenierungen seines im März 2010 gestorbenen Bruders Wolfgang blieben dagegen - zur Freude manch konservativer Wagnerianer - eher hausbacken. Wieland war der große Regisseur, Wolfgang der umsichtige Buchhalter. Er war vor der Wiedereröffnung der Festspiele rund 40 000 Kilometer mit dem Motorrad gefahren, um die finanziellen Voraussetzungen für die Festspiele zu schaffen. "Ohne mich können die Festspiele weiter gehen, ohne den Wolfgang nicht", lobte Wieland das Organisationsgeschick seines zwei Jahr jüngeren Bruders.

Schwierig gestaltete sich zunächst auch die Suche nach (unbelasteten) Künstlern. Als Dirigenten für die ersten Festspiele engagierten die beiden Brüder Hans Knappertsbusch und Herbert von Karajan. "Von Deutschlands Bühnen holten sie sich den Nachwuchs", blickte Wolfgang Lammel 1983 in Bernd Mayers Buch "Bayreuth - Die letzten 50 Jahre" zurück. Wolfgang Windgassen sang den Parsifal, Martha Mödl die Kundry, Leonie Rysanek die Sieglinde und Astrid Varnay die Brünnhilde. Sie prägten Neu-Bayreuth teils über viele Jahre. Der "Grüne Hügel" wurde für viele zum Sprungbrett. Mit Wolfgang Windgassen und Birgit Nilsson als Tristan und Isolde hatte Bayreuth sein erstes Traumpaar.

Legendäre Inszenierungen in den 1970ern

Bis zu Wielands Tod führten ausschließlich die beiden Enkel Richard Wagners Regie im Festspielhaus. Einzige Ausnahme: das dritte Werk zur Wiedereröffnung, "Die Meistersinger von Nürnberg", die Rudolf Hartmann 1951 inszenierte. Erst mit August Everdings "Fliegendem Holländer" öffnete Wolfgang Wagner 1969 die Festspiele für externe Regisseure. Mit teils heftig umstrittenen Inszenierungen wie Götz Friedrichs "Tannhäuser" 1972 oder dem legendären Jahrhundert-"Ring" von Patrice Chéreau 1976 erfüllte Wolfgang Wagner den von seinem Bruder geprägten Begriff der "Werkstatt Bayreuth" bis zu seinem Rücktritt 2008 immer wieder mit neuem Leben.

dpa