Für die Ostfriesen ist der Luther-Schwan als Unterscheidungsmerkmal wichtig. Seit Jahrhunderten ist die Region von einer Rivalität zwischen den Glaubensrichtungen geprägt, die es andernorts nur zwischen evangelischen und katholischen Christen gibt. In Ostfriesland leben knapp 265.000 Lutheraner und 80.000 Reformierte. Sie unterscheiden sich durch ihr jeweils eigenes Abendmahlsverständnis und der Liturgie im Gottesdienst, die bei den Lutheranern gesungen wird. Außerdem sind die reformierten Kirchen äußerst karg. Bilder oder Kreuze sind darin nicht zu finden.
Der Schwan als Symbol für Martin Luther
"Der Schwan ist schon wichtig für die lutherische Identität", sagt der Emder Superintendent und Pastor der Martin-Luther-Kirche, Friedhelm Voges. "Sollte der Kirchenvorstand je beschließen, den Schwan von der Kirche abzunehmen, gäbe es wohl einen Aufschrei in der Gemeinde." Gleichwohl seien die Unterschiede nicht mehr so groß wie früher, sagt er beschwichtigend und fügt schmunzelnd hinzu: "Aber ein bisschen anders als die Reformierten sind wir dann doch."
Der Schwan ist ein Symbol für den Reformator Martin Luther (1483-1546). Einer seiner Vorgänger, der tschechische Reformator Johannes Hus, zu deutsch Johannes Gans, wurde 1415 von der katholischen Kirche wegen Ketzerei zum Tod verurteilt. Auf dem Weg zum Scheiterhaufen soll er gesagt haben: "Heut in des argen Feuers Glut, ein arme Gans ihr braten tut, nach hundert Jahren kommt ein Schwan, den sollt ihr ungebraten lan (erleiden)."
Und fast genau 100 Jahre später schlug Martin Luther im Jahr 1517 seine 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg und läutete so die Reformation in Deutschland ein. Seitdem wurde die Prophezeiung von Hus auf Luther bezogen. Seit frühester Zeit wird Luther daher auf Bildern mit einem Schwan dargestellt.
Ausnahmen bestätigen die Regel
Und so weist der große weiße Vogel den Lutheranern in Ostfriesland den Weg in die für sie richtige Kirche - mit eben einer Ausnahme: Auch auf der altehrwürdigen reformierten Kirche in Groothusen gleich hinterm Deich prangt ein goldener Lutherschwan. "Das ist unsere Verbeugung an Katharina von Wasa", sagt Pastorin Heike Schmid. Der damalige Graf Edzard II. Cirksena hatte 1559 die streng lutherische Schwedenprinzessin geheiratet. "Und die konnte nun mit dem reformierten Gottesdienst ohne gesungene Liturgie so gar nichts anfangen."
Graf und Gräfin versuchten darum, die reformierte Gemeinde lutherisch zu stimmen, berichtet Schmid. "Die Gemeinde bekam einen lutherischen Prediger auf die Kanzel und einen Schwan aufs Dach."