"Veranstaltung des kalten Krieges": Kein Kirchentag in der DDR
Vor 50 Jahren sollte in Ost- und West-Berlin der 10. Evangelische Kirchentag stattfinden. Doch der wurde verboten, weil die DDR-Führung die Nähe der Kirche zum Westen fürchtete: "Zur Sicherung des Friedens" wurde die Feier untersagt. Stattdessen gabt es nur eine "gottesdienstliche Veranstaltung" - mit 43.000 Teilnehmern.
18.07.2011
Von Yvonne Jennerjahn

Am 19. Juli 1961 sollte in Ost- und West-Berlin der 10. Evangelische Kirchentag beginnen. Doch keine zwei Wochen zuvor sind alle Planungen Makulatur. Am 8. Juli vor 50 Jahren gibt der Polizeipräsident einen Beschluss bekannt, der keinen Raum mehr für Missverständnisse lässt: "Im Interesse der Gewährleistung von Ruhe und Ordnung und zur Sicherung des Friedens ist der Evangelische Kirchentag in der Hauptstadt der DDR (Demokratisches Berlin) verboten."

Als "Veranstaltung des kalten Krieges" beeinträchtige der Kirchentag Verhandlungen über die "Lösung der Westberlinfrage" und einen Friedensvertrag, heißt es zur Begründung des Verbots durch das Politbüro der SED. Die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg protestiert mit einem Brief beim Ministerrat der DDR, die sächsische Kirchenleitung per Telegramm. Doch es hilft nichts, die Kirche muss umdisponieren.

Keine typischen Kirchentagsveranstaltungen in Ost-Berlin, heißt es nun. Stattdessen "gottesdienstliche Veranstaltungen" zu den Themen der Bibelarbeiten im Westen. Zur Eröffnung am 19. Juli schließlich predigt der Berliner Bischof Otto Dibelius in West-Berlin, Kurt Scharf, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), im Osten - mit überwältigender Resonanz. "Die Marienkirche musste anderthalb Stunden vor Beginn wegen völliger Überfüllung geschlossen werden", erinnert sich ein Beteiligter. 

Das Verbot kommt nicht überraschend

Wirklich überraschend war das Verbot des Kirchentags für Ost-Berlin allerdings nicht gekommen. Schon rund anderthalb Jahre davor waren die ersten Ankündigungen, 1961 einen Kirchentag in beiden Teilen Berlins zu feiern, bei der DDR-Führung auf wenig Begeisterung gestoßen. "Alle Versuche durch Monate hindurch zu einer offiziellen Verhandlung über unsere Anträge zu gelangen, scheiterten", schreibt Scharf Anfang 1961 in einem Brief. Die Vorbereitungen gehen trotzdem weiter, inoffizielle Gespräche werden positiv gewertet, eine Million Kirchentagsabzeichen werden beim VEB "Staatliche Porzellan-Manufaktur" in Meißen bestellt.

Gottesdienst in der Marienkirche statt Kirchentag (Foto: epd-bild/Hans Lachmann)

Nach einem Gespräch zwischen Kirchen- und Regierungsvertretern "zur Frage eines Gesamtdeutschen Berliner Kirchentages" am 30. Dezember 1960 heißt es offiziell am 11. Januar in einer Regierungserklärung: Der Kirchentag in München 1959 habe gezeigt, dass Vertreter der westdeutschen "Militärkirche" bei dem Protestantentreffen "kirchliche Veranstaltungen und religiöse Anliegen christlicher Bürger zu Provokationen gegen die DDR" nutzen wollten. Die Regierung könne deshalb "dem Antrag, den nächsten Kirchentag in Berlin durchzuführen, nicht entsprechen".

Der "Schwarze Kanal" im DDR-Fernsehen formuliert es ein paar Tage später deutlicher: "Verschärfung der Frontstadtpolitik mit Hilfe des Kirchentages? Ohne uns!" Die Teilnahme von Bundeswehrsoldaten in München, "die dann nach Gebet und Abendmahl und wohlversehen mit dem Segen des Bischofs Dibelius an die Sandkästen zurückkehrten, an denen sie die 'Befreiung der Ostzone' übten", nennt Chefkommentator Karl-Eduard von Schnitzler als Begründung. 

Kirchenpräsident ruft zum Boykott auf

Innerhalb der Kirche bricht im Frühjahr 1961 ein Streit über den geplanten Kirchentag aus. Martin Niemöller, Kirchenpräsident von Hessen-Nassau, sagt ab und ruft zum Boykott auf. Doch es bleibt bei Berlin. Die Verhandlungen mit DDR-Regierungsstellen gehen trotz negativer Vorzeichen weiter. Nun gehe es nicht mehr nur um den Kirchentag, "sondern überhaupt um die Einheit der Evangelischen Christenheit in Deutschland", heißt es in einem Schreiben an den DDR-Staatssekretär für Kirchenfragen.

Fast 43.000 Dauerteilnehmer verzeichnet schließlich die Kirchentagsstatistik für das fünftägige Protestantentreffen auf dem West-Berliner Messegelände, darunter knapp 20.000 aus der DDR, trotz Verbots und Behinderung. Theologische und politische Themen stehen auf dem Programm bis hin zur Frage, ob ein "LPG-Bauer als Christ die Tatsache der Kollektivierung als ein Naturereignis hinnehmen" müsse. Erstmals wird, während in Israel der Eichmann-Prozess läuft, das Verhältnis von Juden und Christen zum Kirchentagsthema gemacht.

Mehr als 80.000 Menschen nehmen am 23. Juli an der Abschlussveranstaltung im Olympiastadion teil. Der Kirchentag, betont dort Kurt Scharf noch einmal, "ist ein gesamtdeutscher Kirchentag gewesen". Nur drei Wochen später beginnt die DDR mit dem Bau der Mauer. Am 31. August wird Kurt Scharf aus Ost-Berlin ausgewiesen.

epd