Um ein zweites Griechenland-Paket findet eine zähe politische Hängepartie statt, irische Anleihen sind auf Ramsch-Niveau abgesunken und nun schwappt die Krise mit Italien auf ein zentrales Euro-Land über. "Renditen und Versicherungsprämien italienischer Staatspapiere", beklagten die Analysten der italienischen Unicredit Bank Mitte Juli, "sind geradezu hochgeschossen." Und mitten drin im Krisenmeer tummeln sich drei Ratingagenturen.
An sich machen Ratingagenturen einen nützlichen Job. Will eine Bank, ein Industriekonzern oder ein Staat sich Geld leihen, werden Wertpapiere aufgelegt und diese Anleihen an Investoren aus aller Welt verkauft. Jeden Tag werden hunderte solcher Anleihen neu auf den Finanzmärkten angeboten, viel zu viele, um die Übersicht zu behalten. Hier kommen nun Ratingagenturen ins Spiel. Sie bewerten die Solidität der Wertpapiere. Wird beispielsweise Italien seine Schulden aus einer zehnjährigen Anleihe im Jahr 2021 - Ministerpräsident Berlusconi und seine Affären sind dann längst Geschichte - tatsächlich zurückzahlen können? Und wird Rom, dessen Schuldenlast fast so schwer wie die Athens wiegt, bis dahin Monat für Monat seine Zinsen brav begleichen?
Solche Fragen beantworten die Rater und vergeben entsprechend ihre Noten von "AAA" (1+) über "BB" bis "C" (6-). In der jeweiligen Note drückt sich dann eine Art von Kosten-Nutzen-Rechnung aus: Eine gute Note steht für geringes Risiko, aber auch für eine niedrige Rendite; eine schlechte Note entsprechend für hohes Risiko, aber auch für die Chance auf hohe Gewinne. Wenn Italien herabgestuft wird, müssen das Land und seine Wirtschaft höhere Zinsaufschläge für Anleihen aufbringen, und dabei geht es nicht um "Peanuts". Wo jeder Cent im Konkurrenzkampf der Staaten, Konzerne und Menschen zählt, wäre ein Risikoaufschlag von mehr als drei Prozentpunkten (gegenüber deutschen AAA-Anleihen) fast schon der Todesstoß für Roms Volkswirtschaft. Genau das würde passieren, wenn Italien seine zweithöchste Note AA2 verliert.
Politik hat selber Schuld
Die Geschichte der Ratingagenturen reicht zurück bis zum Eisenbahnbau in den USA um 1900. Unabhängige Dritte sollten die Aktien der jungen Eisenbahngesellschaften bewerten, von denen in der Öffentlichkeit kaum mehr bekannt war, als abenteuerliche Pläne. In der Folge blieben die Ratingagenturen eng mit der Entwicklung der Finanzmärkte verbunden. Als diese in den 1990er Jahren weltweit boomten, gewannen auch die Ratingagenturen global an Gewicht.
Von der Politik wurden die Rater lange unterschätzt. Dabei dominieren den Weltmarkt lediglich drei Oberschiedsrichter: die US-Giganten Standard & Poor's und Moody's sowie die britische Agentur Fitch. Und bezahlen lassen sie sich ausgerechnet von den Beurteilten, den Emittenten von Wertpapieren. Interessenkonflikte sind also vorprogrammiert.
In der Vergangenheit lagen die Rater - denen man eine zu große Nähe zum angelsächsischen Wirtschaftsmodell nachsagt - mit ihren Einschätzungen öfter daneben. Kritik hagelte es schon vor Jahren bei den Pleiten des italienischen Käseherstellers Parmalat sowie des US-Energiegiganten Enron; und bis zum Ausbruch der Weltfinanzkrise im Sommer 2007 waren hochriskante US-Immobilienpapiere noch mit "AAA" supergut bewertet worden. Vorwarnungen sehen anders aus.
Niemand sollte den Rating-Agenturen blindlings vertrauen
Doch im Innenleben der Finanzmärkte geht ohne Rating (englisch für Bewertung) kaum etwas. In den Richtlinien vieler Versicherer und Pensionsfonds sind bestimmte Noten für die Anlage der Kundengelder vorgeschrieben; und das Bundesministerium der Finanzen hat den Banken noch 2007 verordnet, externe Ratings der Drei heranzuziehen. Selbst die Europäische Zentralbank hat sich von den angelsächsischen Ratern abhängig gemacht. Erst vergangene Woche änderte sie ihre internen Regeln zur Mindestnote, damit sie von Banken weiterhin portugiesische Staatspapiere annehmen kann, die seit diesem Monat als "hoch riskant" einschätzt sind.
Seit kurzem erwächst den drei Oberschiedsrichtern Konkurrenz. So haben der private Hamburger Kreditversicherer Hermes und dessen Pariser Konkurrentin Coface eine Zulassung als Ratingagentur erworben; Politiker träumen von einer öffentlichen Europa-Ratingbehörde. Das macht durchaus wirtschaftlich Sinn, wird aber dauern. Zumindest zeigen solche Pläne, dass Finanzkapitalismus ohne wirklich unabhängige Marktbeobachter nicht gut funktionieren kann.
Politik, Notenbanken und Unternehmen haben mit ihrem blinden Glauben an die unsichtbare Hand des Marktes (Adam Smith) entscheidend zu der Abhängigkeit von den Ratingagenturen beigetragen. Rührend naiv wirkt es da, wenn Gabriele Hahn, seit Februar oberste Versicherungsaufseherin, der "Financial Times" sagt: "Niemand kann einfach mehr blindlings auf die Ratingagenturen vertrauen." Diese Binsenweisheit hätte allerdings schon längst Einzug in die Chefetagen halten sollen.
Hermannus Pfeiffer ist freier Wirtschaftsjournalist in Hamburg.