"Putin hat Freiheiten eingeschränkt"
Trotz des Eklats um die Vergabe des Einheitspreis Quadriga an Russlands Premier Putin soll dieser die Auszeichnung erhalten. Mitglieder flüchten aus dem Kuratorium des Preis-Verleihers, und Menschenrechtler gehen auf die Barrikaden.

Für das Kuratorium des Quadriga-Preises bleibt es trotz aller Proteste dabei: Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin soll am Tag der Deutschen Einheit die Auszeichnung erhalten. Er werde wegen seiner "Verdienste für die Verlässlichkeit und Stabilität der deutsch-russischen Beziehungen" geehrt, hieß es in einer Stellungnahme des Kuratoriums nach einem Krisentreffen am Dienstag.

Auf der Internetseite des Vereins heißt es unter anderem: "Eine Quadriga honoriert eine besondere staats- oder gesellschaftspolitische Leistung. Eine Quadriga honoriert eine besondere bürgerschaftliche Haltung. Eine Quadriga honoriert eine besondere kulturelle oder künstlerische Idee." Bisherige Preisträger waren unter anderem Michail Gorbatschow, Václav Havel, Shimon Peres, Gerhard Schröder und Bärbel Bohley.

Der Kremlkritiker Boris Nemzow sagte dem ZDF: "Alle anständigen Menschen in Russland sind von der Entscheidung der Deutschen schockiert." Es sei die Frage, warum Putin den Quadriga-Preis trotz Kritik von vielen Seiten erhalte, sagte der prominente Oppositionelle. "Dafür, dass die Redefreiheit in unserem Land vernichtet wurde? Dafür, dass Journalisten in unserem Land ermordet werden? Dafür, dass das Institut der Wahlen zerstört und ein Einparteiensystem geschaffen worden ist?"

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Putin werde die Auszeichnung, die am 3. Oktober in Berlin übergeben werden soll, mit Sicherheit im russischen Wahlkampf nutzen, sagte Nemzow. "Er wird (...) mit diesem (...) Preis herumwinken und demonstrieren, was er doch für ein Demokrat ist. Genauso wie Gandhi. Tatsächlich ist das eigentlich eine Schande für Deutschland", sagte Nemzow. Er gilt als einer der schärfsten Kritiker von Putin.

In Russland wird im Dezember ein neues Parlament und im März 2012 ein neuer Präsident gewählt. Experten halten Putins Kandidatur für möglich. Er war bereits von 2000 bis 2008 Staatschef.

"Rückschritte bei den Menschenrechten"

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) kritisierte: "Unter Wladimir Putin gab es in Russland deutliche Rückschritte bei den Menschenrechten." HRW-Direktor Wenzel Michalski sagte der dpa: "Ich finde es erstaunlich, dass jemand geehrt werden soll, der die von dem Verein laut betonten Werte ganz offensichtlich nicht vertritt." Grünen-Chefin Claudia Roth verurteilte die Verleihung als "Schlag ins Gesicht aller Menschenrechtler".

Unaufgeklärte Morde an Journalisten, das Verbot von Nichtregierungsorganisationen, die Behinderung oppositioneller Parteien sowie politisch gesteuerte Prozesse verdeutlichen für die CDU-Menschenrechtspolitikerin Erika Steinbach, "dass Wladimir Putin ein für den Quadriga-Preis nicht geeigneter Preisträger ist".

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, nannte es in "Spiegel Online" zynisch, Putin in eine Reihe mit Gorbatschow und Havel zu stellen. Das entwerte einen Preis, der für Freiheit und demokratischen Aufbruch stehe. "Putin hat während seiner Amtszeiten als Staats- und Ministerpräsident die Demokratie zurückgebaut, Freiheiten eingeschränkt, den Rechtsstaat ausgehöhlt und Russland der Korruption preisgegeben."

Cem Özdemir verließ das Kuratorium

Die Kulturausschuss-Vorsitzende im Bundestag, Monika Grütters (CDU), sagte der dpa, die Werkstatt Deutschland sei zwar ein privater Verein. "Doch diese Preis-Entscheidung hat politische Implikationen, die Ratlosigkeit hinterlässt und viele Fragen aufwirft."

Der grüne Europa-Abgeordnete Werner Schulz rief zum Protest gegen die Vergabe des Preises an Putin auf. "Es ist ein Hohn, und ich hoffe, dass sich jetzt viele einsetzen, so dass es zu so einer Blamage nicht kommt."

Grünen-Chef Cem Özdemir verließ das Kuratorium des preisverleihenden Vereins Werkstatt Deutschland wegen des Eklats. Er begründete den Schritt mit einer "unterschiedlichen Einschätzung über die Verdienste von Wladimir Putin für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit". Der Preis solle an Personen verliehen werden, die sich um die Demokratie verdient gemacht hätten, betonte Özdemir. Er sehe Putin nicht in einer Reihe mit Preisträgern wie Michail Gorbatschow, der Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley und dem ehemaligen tschechischen Präsidenten Václav Havel.

Demonstrationen bei der Preisverleihung

Putin selbst will sich nach Angaben seines Sprechers vorerst nicht zu der Diskussion äußern. "Kein Kommentar", sagte Dmitri Peskow auf Anfrage der russischen Zeitung "Iswestija". Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hatten sich Vertreter des Vereins Werkstatt Deutschland im März mit Putins außenpolitischem Berater über die Preisverleihung abgestimmt. Im Gespräch war die Ehrung demnach bereits seit dem Jahreswechsel.

"Bleibt es dabei, prophezeie ich Gegendemonstrationen bei der Preisverleihung", sagte der Parlamentsgeschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck, "Handelsblatt Online". Der Chef der Stasi-Unterlagenbehörde, Roland Jahn, erinnerte daran, dass Putin als Offizier des sowjetischen Geheimdiensts KGB eine Stütze der kommunistischen Diktaturen war. "Es spricht (...) nicht für das Netzwerk Quadriga, ausgerechnet Wladimir Putin für preiswürdig zu halten", sagte Jahn der "Rheinischen Post" (Mittwoch).

Es ist nicht das erste Mal, dass ein deutscher Preis an Putin auf Kritik stößt: Beim vierten Dresdner SemperOpernball vor zwei Jahren bekam er einen "Dankorden" für Verdienste um den deutsch-russischen Kulturaustausch.

dpa/evangelisch.de