Mary Baker Eddy und der Gesundheitsglaube
Heil, Heilung, Heiland? Mary Baker Eddy war eine ungewöhnliche Frau mit ungewöhnlichen Themen. Die Gründerin der "Christian Science" wurde vor 190 Jahren, am 16. Juli 1821, im US-Bundesstaat New Hampshire geboren. In Deutschland hat Eddys Gedankengut heute noch rund 2.000 Anhänger. Unterschiede zum herkömmlichen Glauben sind unübersehbar.
12.07.2011
Von Andreas Fincke

Mary Baker Eddy schrieb ein bis heute sehr einflussreiches Buch zum Thema Heil und Heilung. Diese Frage war ihr Lebensthema. Schon als Kind litt sie an schweren Krankheiten. So fragte sie immer wieder nach dem Zusammenhang von Glaube und Gesundheit. Ist nicht unser Herr und Erlöser auch als Heiland, das heißt als heil beziehungsweise gesund machender Gott bekannt? Müssten nicht "fromme" Menschen auch gesunde Menschen sein? Kann Krankheit in Gottes Heilsplan überhaupt vorkommen?

Spontane Heilung bei der Bibellektüre

So studierte M. B. Eddy immer wieder die Heilige Schrift. Nach einem Unfall will sie eine spontane Heilung beim Lesen in der Bibel erfahren haben. Sie entdeckte die "göttlichen Gesetze von Leben, Wahrheit und Liebe". Dieses "göttliche Prinzip" nannte sie "Christian Science". Diese Einsichten bilden den Inhalt ihres weltweit verbreiteten Hauptwerkes mit dem bezeichnenden Titel "Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift".

1879 gründete Eddy in Boston ihre eigene Religionsgemeinschaft, die "Church of Christ, Scientist". Es ging ihr darum, Jesu "Worte und Werke in Erinnerung zu bringen und dadurch das ursprüngliche Christentum und sein verloren gegangenes Element des Heilens wieder einzuführen." Noch kurz vor ihrem Tod gründete sie die Tageszeitung "The Christian Science Monitor", die auch heute noch in den USA erscheint und wegen ihrer journalistischen Qualitäten hoch angesehen ist. Anfang Dezember 1910 starb Eddy in Boston. Am 14. Oktober 1995 wurde sie in die "National Women's Hall of Fame" in den USA aufgenommen. 2002 hat der US-Kongress ihre Verdienste für die Rechte der Frauen gewürdigt.

Das Hauptwerk von M. B. Eddy ist eine eher unsystematische Zusammenstellung ihrer wichtigsten Gedanken. Danach ist Gott das zentrale Prinzip der "Wissenschaft aller Wissenschaften". Alles Unvollkommene und Böse, also Krankheit, Tod und Materie gehören nicht zur Wirklichkeit Gottes. Der Mensch muss sich folglich von dem Irrtum der Materie und des Bösen befreien, diesen gleichsam ihre "Tatsächlichkeit" nehmen und kann somit in Harmonie zu Gott treten.

Das Negative ist "menschlicher Irrtum"

Vereinfacht könnte man sagen, dass die Christliche Wissenschaft die Materie nicht als Realität ansieht. Alles Negative und Unvollkommene wird nicht zur Wirklichkeit Gottes gerechnet und als "menschlicher Irrtum" betrachtet. Legt der Mensch jedoch den verhängnisvollen Irrtum von der Wirklichkeit der Materie sowie aller Übel ab, kann er in die ewige Harmonie zu Gott treten. So vergehen alle Übel wie Krankheit und Leid. Es sei angemerkt, dass sich die Christliche Wissenschaft damit im Widerspruch zum traditionellen christlichen Verständnis begibt, wonach die Materie durchaus in den Bereich der guten Schöpfung gehört (vgl. 1. Mose 1,31).

Ein wichtiges Element persönlicher Glaubenspraxis der Christian Science ist das Gebet. Jedoch legen die ökumenischen Kirchen Wert auf die Feststellung, dass beispielsweise das "Vater Unser" aufgrund einer Interpretation durch M. B. Eddy anders gedeutet wird. So lautet die Bitte "Und führe uns nicht in Versuchung" in der Christliche Wissenschaft "Und Gott führt uns nicht in Versuchung". Weitere Differenzen sind unübersehbar. Dennoch muss man anerkennen, dass die Bemühungen vieler Anhänger der Christlichen Wissenschaft um Heiligung des Lebens und um ein tieferes Verständnis von Heil und Heilung Respekt und Achtung verdienen.

Für M. B. Eddy war es von zentraler Bedeutung, dass ihre Lehre unverändert überliefert wird. Dafür garantiert bis heute der Vorstand der Mutterkirche in Boston. Er gibt zur Verbreitung der Lehre mehrere Zeitschriften und die sogenannten "Bibellektionspredigten" heraus, die im sonntäglichen Gottesdienst überall auf der Welt verlesen werden. Der Gottesdienst wird in einem schlichten Rahmen abgehalten. Auffällig ist ein breites Lesepult. Hier werden biblische Texte und Auszüge aus Eddys Hauptwerk gelesen. Die Betreuung des Leseraumes und andere Aufgaben werden üblicherweise von Laien übernommen.

Änderungen am Text sind verpönt

In den relativ weit verbreiteten Leseräumen werden die Bibel, die Werke der Gründerin sowie weitere Veröffentlichungen der Christlichen Wissenschaft angeboten. Das Hauptwerk "Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift", wurde bereits in 17 Sprachen übersetzt und ist weltweit in etwa zehn Millionen Exemplaren verbreitet. Da an dem Text keinerlei Veränderungen vorgenommen werden dürfen, erscheinen Übersetzungen immer zweisprachig: Links der englische Originaltext von Eddy, rechts die jeweilige Übersetzung. Das Buch genießt in der Gemeinschaft höchstes Ansehen.

Die starke Fixierung der Christlichen Wissenschaft auf das Werk von M. B. Eddy erschwert Entwicklungen und Veränderungen. Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass das neue Interesse an alternativer Medizin nicht zu einem neuen Interesse an der Christlichen Wissenschaft führt. Besucht man heute Versammlungen der Christlichen Wissenschaft, so ist eine gewisse Überalterung nicht zu übersehen. Allenfalls 2.000 Mitglieder dürfte die Gemeinschaft in Deutschland haben. Die alternative Medizin ist längst in esoterische Buchläden und Bio-Supermärkte ausgewandert.


Dr. Andreas Fincke lebt als Theologe und Publizist in Berlin.