"Als Oberbürgermeister dieser Stadt trage ich moralische Verantwortung für dieses Ereignis", sagte Sauerland am Montag zu Beginn einer Ratssitzung. "Es ist mir ein persönliches Bedürfnis, mich an dieser Stelle bei allen Hinterbliebenen und Geschädigten zu entschuldigen." Anschließend bat er um eine Gedenkminute. In der Ratssitzung wollte die Duisburger Stadtvertretung unter anderem über den dauerhaften Erhalt der Unglücksstelle entscheiden, an der am 24. Juli vergangenen Jahres 21 Menschen erdrückt und mehrere Hundert verletzt worden waren.
In einem Zwischenbericht der Staatsanwaltschaft heißt es: "Die Erteilung der Genehmigung erfolgte rechtswidrig." Die Stadtverwaltung Duisburg hätte die Loveparade demnach so nicht genehmigen dürfen. Der zuständige Duisburger Staatsanwalt Rolf Haferkamp bestätigte einen entsprechenden Artikel der "Rheinischen Post" vom Montag.
Zum Inhalt des sogenannten "Einleitungsvermerkes Loveparade" äußerte sich der Staatsanwalt nicht. Das insgesamt 400 Seiten starke Dokument ist vom Justizministerium als geheim eingestuft. Mit der Vertraulichkeit des Berichts sollten die Persönlichkeitsrechte der Beschuldigten und die Unbefangenheit der Schöffen bei einem möglichen späteren Verfahren garantiert werden, erklärte das Justizministerium. Vertretern der Landtagsfraktionen sei der Bericht im sogenannten Obleute-Verfahren zugänglich gemacht worden.
Von 16 Beschuldigten arbeiten elf bei der Stadt
Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung. Als Beschuldigte gelten derzeit 16 Menschen, darunter 11 städtische Mitarbeiter. Ihnen wird laut Bericht vorgeworfen, das Konzept des Veranstalters trotz Mängeln ohne die nötigen kritischen Prüfungen übernommen zu haben. Haferkamp sagte, zu den Beschuldigten zähle auch ein leitender Polizeibeamter wegen seines Verhaltens bei der Loveparade am 24. Juli 2010.
In einem Kapitel mit der Überschrift "Untätigkeit" verweist die Staatsanwaltschaft der "Rheinischen Post" zufolge unter anderem darauf, dass keiner der involvierten Mitarbeiter des Bauordnungsamtes am Tag der Veranstaltung vor Ort war und demnach keinerlei Kontrollen erteilter Auflagen stattfinden konnten. Zudem habe den Mitarbeitern bereits im Vorfeld bewusst sein müssen, "dass es zu erheblichen Gefahren für die körperliche Integrität der Besucher, insbesondere auch zu lebensbedrohlichen Situationen, ohne weiteres würde kommen können", zitiert die Zeitung aus dem Bericht. Mit Blick auf die Polizei zeichne die Staatsanwaltschaft das Bild einer von der Lage überforderten Truppe mit einer Abfolge von Missverständnissen und Fehlentscheidungen.
Die Gewerkschaft der Polizei in NRW reagierte auf die Vorwürfe und forderte am Montag ein "Vetorecht". "Wir wollen den Kommunen nicht die Verantwortung von Großveranstaltungen wegnehmen, aber die Polizei muss das Recht bekommen, die Rote Karte zu ziehen, wenn bereits im Vorfeld der Veranstaltung erkennbar ist, dass sie aus dem Ruder läuft", erklärte Sprecher Stephan Hegger in Düsseldorf. Es sei "wirklichkeitsfremd" zu glauben, die Polizei hätte die Duisburger Katastrophe noch "in letzter Minute" verhindern können. Mögliche einsatztaktische Fehler müsse die Staatsanwalt bewerten, aber die Polizei dürfe weder für das "falsche Sicherheitskonzept des Veranstalters" noch für die von der Stadt erteilte Genehmigung verantwortlich gemacht werden.
Enorme Menge von Daten sind auszuwerten
In ihrem Bericht listet die Staatsanwaltschaft zahlreiche Mängel des Veranstaltungs- und Sicherheitskonzepts vom Veranstalter Lopavent auf. Dazu zählen den Angaben zufolge unter anderem eine nicht vorgesehene Besucherzählung, unzureichende Berechnungen beziehungsweise Schätzungen zu Wegen und Ausweichflächen für sich gegebenenfalls drängende Besuchermassen, ungeeignete Geländemerkmale wie Tunnelzugänge sowie Eingang gleich Ausgang auf der Rampe und eine fehlende Lautsprecheranlage zur Besucherinformation.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft würden wegen der enormen Mengen von Daten und mehr als 3000 Zeugen noch einige Monate in Anspruch nehmen, sagte Staatsanwalt Haferkamp. Bis zum Abschluss der Ermittlungen und der Entscheidung über eine mögliche Anklageerhebung werde es daher voraussichtlich noch dauern. Die Staatsanwaltschaft hatte zu Jahresbeginn auch Wohnungen und Büros von Beschuldigten durchsucht.
Neben den möglichen strafrechtlichen Konsequenzen drohen auch Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe. Bis Ende Mai hatten bei der Versicherung des Loveparade-Veranstalters Lopavent bereits rund 290 Menschen Schadenersatz eingefordert. Die Versicherung Axa (Köln) und die Stadt Duisburg haben vereinbart, mit der Regulierung ungeachtet der Schuldfrage schon zu beginnen. Allein die Axa hat dazu zehn Millionen Euro Rückstellungen gebildet. Sobald die Schuldfrage klar ist, könnte es Regressforderungen der Versicherung und möglicherweise auch der Stadt geben.