1469 kam der Theologe und Philologe in Rotterdam zur Welt, als unehelicher Sohn eines Priesters und einer Arzttochter, worunter er Zeit seines Lebens litt. Schon früh kam Erasmus in Kontakt mit den "Brüdern vom gemeinsamen Leben" in Deventer, die eine schlichte, innerliche Frömmigkeit praktizierten und sich bewusst von der in Macht und Reichtum verliebten Kirchenführung absetzten. Nach dem frühen Tod seiner Eltern trat er in ein Augustinerkloster ein. Der Bischof von Cambrai erkannte seine Talente, machte ihn bald nach der Priesterweihe zu seinem Sekretär und schickte ihn zum Studium an die Pariser Sorbonne.
Auch er gab sein Mönchsleben auf
Dort rundete Erasmus seine sprachwissenschaftlichen und theologischen Kenntnisse ab - und ging auf Konfliktkurs zur herrschenden Scholastik, die in einem dürren Rationalismus erstarrt war: tote Dogmenwissenschaft statt gläubiger Inspiration. Ohne Doktortitel verließ er Paris, gab sein Mönchsleben auf, ging auf ausgedehnte Reisen, fand in England und Italien gelehrte Freunde, verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Privatlehrer und Dozent. Und wuchs mehr und mehr zum großen Humanisten heran. "Licht der Welt" nannten ihn manche. Er selbst gab sich auch den Namen Desiderius.
Gemeinsam mit Freunden wie Thomas More und John Colet versuchte Erasmus, die christliche Theologie und Philosophie durch den Rückgriff auf das Evangelium und die Urkirche zu erneuern und ins Gespräch mit der antiken Moralphilosophie und Kultur zu bringen. Mit seinem Ansehen als Philologe, Pädagoge und glänzender Literat kämpfte er gegen dumpfen Aberglauben und Dogmatismus und warb für einen toleranten Dialog mit anderen Weltbildern - ohne Scheuklappen und Berührungsängste. In mühevoller Arbeit schuf Erasmus die epochale erste kritische Ausgabe des griechischen Neuen Testaments, auf die Luther bei seiner Bibelübersetzung zurückgreifen sollte.
Seine Sehnsucht nach einer gereinigten, am Evangelium und an Jesus Christus orientierten, von weltlichen Verstrickungen freien Kirche verband ihn mit Martin Luther. Man sagte, Erasmus habe das Ei ausgebrütet, aus dem Luther geschlüpft sei. Erasmus wohnte jedoch in der Gelehrtenrepublik, vertraute auf Bücher und wissenschaftliche Debatten, während sich Luther direkt an das Volk wandte und auf dem Marktplatz kämpfte. Anfangs hatte Erasmus leidenschaftlich Partei für den Reformator ergriffen: "Wenn man seine Bücher verbrennt, verbannt man Luther vielleicht aus den Bibliotheken", hatte er argumentiert, "ob man ihn aus den Herzen verbannen kann, bezweifle ich."
Angst um die Einheit der Kirche
Doch dann, als er die Einheit der Kirche zerbrechen sah und als um die neue Lehre nicht mehr nur in Hörsälen und auf Kanzeln, sondern auf dem Schlachtfeld gerungen wurde, wandte sich Erasmus erschrocken von der Reformation ab: "Kommt es zum Äußersten, so dass der ganze Bestand der Kirche ins Wanken gerät, so werde ich mich auf jenen Felsen retten, der da heißt: 'Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen'." Die Zögerlichkeit des großen Humanisten kam bei den Reformatoren nicht gut an. Luther urteilte verächtlich: "Erasmus ist ein Aal."
In seinem literarischen Schaffen schrieb der leidenschaftlich menschenfreundliche Philosoph gegen den Krieg an. In Schriften wie "Klage des Friedens", die noch zu Lebzeiten des Autors 26 Auflagen erreichte, wandte sich Erasmus gegen aggressives Kreuzzugsdenken, das angeblich unzivilisierten Menschen die eigene Kultur und Religion aufzwingen wollte. "Alle Schriften der Christen, ob du das alte oder neue Testament aufschlägst, dröhnen geradezu von Frieden und Solidarität", sagte Erasmus. Deshalb müssten die Christen die allerersten sein, wenn es gelte, Feindbilder zu überwinden und den Frieden zu zimmern, mahnte der Humanist.
Als er 1536 in Basel starb, sollen seine letzten Worte in seiner Muttersprache gewesen sein "Lieve God! - Lieber Gott." Sein Grundanliegen war, in ideologischen Fronten festgefahrene Diskussionen zu versachlichen: Erasmus wollte zeigen, dass jede Sache zwei Seiten hat, dass es zu einfach ist, die Welt in eine gute und eine böse Hälfte aufzuteilen, und dass die Wahrheit oft genug in der Mitte liegt.