"Nader und Simin": Regisseur freut sich über Diskussion
Am Anfang steht der Scheidungsrichter: Ein Paar aus der modernen Mittelschicht hat eine gemeinsame Tochter, aber unterschiedliche Pläne, die sich nur getrennt voneinander verwirklichen lassen würden. So beginnt das vielschichtige Familiendrama "Nader und Simin – Eine Trennung", für das der iranische Regisseur Asghar Farhadi (*1972) im Februar den Goldenen Bären auf den Berliner Filmfestspielen gewann. Am 14. Juli kommt der Film in unsere Kinos.
11.07.2011
Die Fragen stellte Ralf Krämer

Herr Farhadi, Filmemacher aus dem Iran erfahren zurzeit große öffentliche Aufmerksamkeit, vor allem aufgrund ihrer politischen Situation, zuletzt durch die Inhaftierung und das Berufsverbot für Ihren Kollegen Jafar Panahi. Was bedeutet diese Situation für Sie?

Farhadi: Wenn einem solche Fragen gestellt werden, vergisst man fast, dass man Filmemacher ist. Man denkt, man sei ein berühmter Politiker. Aber man muss bedenken, dass die Politik Regeln und Prinzipien hat, die ich nicht verstehe. Im Gegensatz dazu gibt es in der Kunst Regeln und Prinzipien, die mich begeistern. Wenn ich über Politik spreche, ist das aus dem Blickwinkel meiner eigenen Emotionen. Wohingegen Politiker in der Lage sind, die Emotionen beiseite zu lassen und vernünftig über die Sachlage zu sprechen, jedenfalls in der Regel.

Iranische Filme, die es in den letzten zwanzig Jahren in unsere Kinos schafften, erzählten oft poetische Geschichten aus ländlichen Gegenden. "Nader und Simin..." überrascht, weil er ein Großstadtfilm ist, der so auch in Berlin oder New York spielen könnte. Wie wirkt er auf das iranische Publikum? 

Farhadi: Wenn man von einer Besonderheit des Films sprechen kann, dann ist es wohl die, dass er viele Interpretationsmöglichkeiten bietet. Viele Schichten. Nicht nur ein Intellektueller, jeder kann sich ein Bild von diesem Film machen und sich mit den verschiedenen Charakteren identifizieren. In diesem Film, wie auch in meinen vorangegangen, gebe ich keine fertigen Antworten. Ich stelle Fragen und auf all diese Fragen muss der Zuschauer selbst eine Antwort finden.

Ist "Nader und Simin..." vielleicht ein typisches Beispiel eines iranischen "Mainstream-Arthouse-Films"? 

Farhadi: Es ist schwierig, meinen Film irgendwo zu verorten. Ich versuche trotz der einfachen Handlungsweisen und der schlichten Oberfläche meines Films, den Zuschauer herauszufordern. Die Fragen, die der Film stellt, müssen durch den Zuschauer aufgenommen und verfolgt werden. Ich versuche, verschiedene Dimensionen in den Film einzubauen, damit das dann von verschiedenen Gruppierungen individuell interpretierbar und wahrnehmbar wird.

Wäre so ein Film, der das alltägliche moderne Leben zeigt, vielleicht die wirkungsvollste Art eines Antikriegsfilms? Man kann sich kaum vorstellen, dass ein westlicher Staat, in dem "Nader und Simin..." in den Kinos zu sehen ist, großen Rückhalt in der Bevölkerung hätte, wenn er einen Konflikt mit dem Iran mit militärischen Mitteln lösen wollen würde.

Farhadi: Dieser Interpretation würde ich zustimmen. Ich würde dazu sagen, das ist ein Film gegen Gewalt. Gegen jegliche Gewalt.

Es gibt zwei große Frauenrollen in Ihrem Film: die sehr moderne, intellektuelle Frau Simin und die arme, sehr religiöse Putzfrau Razieh. Steht der Konflikt zwischen diesen beiden für die derzeitige Situation in der iranischen Gesellschaft?

Farhadi: Das stimmt, im Großen und Ganzen. Allerdings kann man nicht sagen, dass jede Art der Modernisierung auch westlich orientiert ist, obwohl Modernität ein eher westliches Phänomen ist. Der Drang zur Erneuerung, zur Umwandlung ist etwas, das auch im Herzen unserer Mittelschicht zu sehen ist. Im Gegensatz dazu sind die unteren Schichten eher traditionell orientiert. Die möchten auch ihren Glauben und ihre Sichtweisen beibehalten. Dadurch entstehen zwangsläufig Konflikte.

Besonders spannend sind die Filmszenen, in denen die Konfliktparteien vor Gericht versuchen, ihren Standpunkt zu verteidigen. In Filmen und im Reality-TV des Westens erfreuen sich Gerichtsverhandlungen großer Beliebtheit. Einerseits bedienen sie den Voyeurismus, anderseits spiegelt sich in der Art der Rechtsprechung ja auch die Gesellschaft eines Landes. Gibt es im Iran im Fernsehen etwas Ähnliches?

Farhadi: Ich habe solche Sendungen schon mal gesehen. Im Iran gibt es die allerdings nicht. Man muss dazu bemerken, dass in meinem Film nur zu Anfang und am Ende eine Gerichtsszene steht, wenn die beiden vor dem Scheidungsrichter stehen. Die anderen Szenen, die Sie meinen, finden vor einem Polizei-Inspektor statt, das ist ein Beamter, der der Sache nachgeht und dann die Unterlagen weiterleitet an die zuständigen Behörden und Richter.

Wurden manche Fragen des Films auch öffentlich diskutiert?

Farhadi: Es gab mehrere Diskussionen. Hauptsächlich ging es um die Frage, wer zuletzt Recht hat: Simin, die das Land verlassen will oder Nader, der zuhause bleiben will, um seinen dementen Vater zu pflegen. Und was ist mit Naders Putzfrau Razieh, die aus religiösen Gründen ihrem Mann ihren Job verschweigt, zu dem auch pflegerische Tätigkeiten gehören? Da gab es schon viele Debatten und Diskussionen. Nicht nur Filmkritiker, auch viele andere Gruppierungen, Philosophen, Psychoanalytiker und Soziologen haben sich dazu geäußert, sogar Politiker. Das ist eines der schönsten Ereignisse in meinem Leben, dass ein Film von mir so einen Diskussionsstoff geboten hat und sich so viele Menschen an der Diskussion beteiligt haben.

Wessen Partei ergreifen die meisten Zuschauer?

Farhadi: Dass es eine bestimmte auffällige Tendenz in der Parteinahme für die Konfliktparteien gibt, würde ich nicht sagen.

Welche Rolle hat die Zensur in der Produktion Ihres Filmes gespielt?

Farhadi: Ich bin nicht der Typ, der nach einem Film über die Schwierigkeiten sprechen möchte, die er beim Drehen hatte. Ich möchte nicht, dass der Zuschauer sich über diese Schwierigkeiten Gedanken macht und nachprüft, welche Hindernisse ich umgehen musste. Ich will, dass meine Filme überall auf der Welt so gesehen und beurteilt werden, wie Filme aller anderen Filmemacher auch.

Aus europäischer Sicht hat man dennoch den Eindruck, dass das iranische Kino in den letzten Jahren stärker geworden ist, vielleicht gerade durch den Druck?

Farhadi: Ich glaube nicht, dass durch die Schwierigkeiten die Filme stärker geworden sind. Im Gegenteil, wenn wir mehr Freiheiten gehabt hätten, wären uns noch stärkere Filme gelungen. Sie müssen bedenken, dass wir hier über ein Land sprechen, dass eine lange Tradition hat, mit vielen Literaten, Philosophen, vielen Denkern. Da ist es nicht überraschend, dass solche Filme zustande kommen. Aber es sind ganz wenige.

Das Interesse der westlichen Zuschauer an einem iranischen Film kann man so interpretieren, dass das Publikum die Schwierigkeiten kennt, und sich dann denkt: "Trotz dieser Schwierigkeiten gibt es also solche Filme". Aber wenn man das separat und selbstständig betrachten würde, würde das iranische Kino vielleicht nicht so eine große Beachtung finden. Vor der Revolution gab es beispielsweise sehr viele große Filmemacher, die fantastische Filme gemacht haben, aber damals haben sie keine große Beachtung gefunden.


Asghar Farhadi, geboren 1972 im Iran, gewann mit "Nader und Imin" den Goldenen Bären auf der Berlinale. Der Film ist jetzt auch hierzulande im Kino zu sehen.