"Syriens Armee hat Befehl, auf Demonstranten zu schießen"
Offiziere der syrischen Armee sollen nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) Schießbefehl gegen unbewaffnete Demonstranten erteilt haben. Das geht aus einem Bericht hervor, für den die Organisation nach eigenen Angaben acht in die Nachbarländer Türkei, Libanon und Jordanien geflüchtete Soldaten befragt hat.

Sie hätten den Befehl erhalten, "Demonstranten zu erschießen", um diese auseinanderzutreiben, werden die Überläufer in dem am Samstag in Beirut verbreiteten Bericht zitiert. Die Vorgesetzten hätten ihnen gesagt, sie würden Eindringlinge und Terroristen bekämpfen. Stattdessen hätten sie sich unbewaffneten Demonstranten gegenübergesehen.

"Die Aussagen dieser Überläufer sind ein weiterer Beleg dafür, dass das Töten von Demonstranten kein Zufall, sondern das Ergebnis einer vorsätzlichen Politik führender Verantwortlicher in Syrien ist", sagte die für den Nahen Osten zuständige HRW-Direktorin Sarah Leah Whitson.

Zäher Beginn des "nationalen Dialogs"

 

Vier Monate nach Beginn der Proteste in Syrien hat die Regierung derweil einen Gesprächskanal mit der Opposition eröffnet. Die meisten bekannten Oppositionellen blieben dem ersten Treffen zu dem von Präsident Baschar al-Assad initiierten "nationalen Dialog" am Sonntag in Damaskus jedoch fern. Sie begründeten dies mit der Gewalt der Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten.

Den Vorsitz bei dem Treffen, das für zwei Tage angesetzt wurde, hatte Vizepräsident Faruk al-Scharaa. Al-Scharaa sagte, auch die Exil-Oppositionellen könnten an dem Reformdialog teilnehmen, wenn sie dies wünschten. Ziel der Gespräche sei es, aus Syrien einen "pluralistischen, demokratischen Staat" zu machen.

Der Parlamentsabgeordnete Mohammed Habasch forderte die Abschaffung eines Gesetzes, das die Todesstrafe für Mitglieder der Muslimbruderschaft vorsieht. Er kritisierte zudem, dass "Tausende ohne Prozess in den Gefängnissen sitzen". Habasch bezeichnet sich selbst als gemäßigter Islamist, steht aber der Baath-Partei von Präsident Assad nahe.

Schon mehr als 1750 Tote

Ein unabhängiger Teilnehmer des Dialogs, Tajjib Tisini, übte scharfe Kritik. Es sei falsch, dass diese Konferenz begonnen habe, "während noch auf syrische Zivilisten geschossen wird, in der Stadt Hama, in Homs und an anderen Orten", sagte er.

Nach Angaben von Menschenrechtlern sind bei den blutigen Unruhen schon mehr als 1750 Menschen getötet worden, darunter etwa 350 Angehörige der Sicherheitskräfte. Allein am vergangenen Freitag sollen landesweit 200 Demonstranten festgenommen worden sein, darunter der Theaterregisseur Osama Ghanim. Die Demonstranten fordern den Rücktritt des Präsidenten und einen Machtverzicht der arabisch-sozialistischen Baath-Partei, die das Land seit 1963 regiert.

 

dpa