PID: Eine Debatte wie ein breiter, ruhiger Fluss
Alle Argumente wurden in der mehrstündigen Debatte im deutschen Bundestag am Donnerstag noch einmal ausgetauscht: Wie es Eltern ergeht, die sich ein gesundes Kind wünschen. Ab wann die befruchtete Eizelle als "Mensch" gilt. Ob die PID zu "Designerbabys" führt. Am Ende gab es ein recht deutliches Meinungsbild - mit einer Mehrheit, die so nicht unbedingt erwartet worden war.
07.07.2011
Von Jutta Wagemann

Knapp eine Stunde ist vergangen, als Angela Merkel (CDU) den Plenarsaal für eine Weile verlässt. Vor der Bundeskanzlerin haben schon zahlreiche Abgeordnete das Weite gesucht. Auf der Regierungsbank werden Akten studiert und SMS gelesen. Im Bundestag geht es an diesem Donnerstag um Fragen von Leben und Tod, um das Leid vieler Frauen und schwere Konflikte von Paaren. Das Parlament soll über die Zulässigkeit von Gentests an Embryonen nach künstlicher Befruchtung entscheiden.

Doch die Debatte über die Präimplantationsdiagnostik (PID) erscheint wie ein langer, ruhiger Fluss. Alle Redner sind so um Sachlichkeit bemüht, dass fast Langeweile aufkommt. Es ist die Stunde der Fachpolitiker, die politische Prominenz hält sich zurück. Das bedeutet viel Sachverstand und wenig rhetorische Begabung. Die Argumente sind bekannt. Viele Abgeordnete haben sich ohnehin längst entschieden, auch die Kanzlerin, die für ein Verbot der PID eintritt. So kann sie getrost den Saal verlassen.

"Eine Qualitätsüberprüfung menschlichen Lebens"

Merkel verpasst Wolfgang Thierse. Der SPD-Politiker und Bundestagsvizepräsident ist der erste Redner, der einen weiten Bogen spannt. Eine Zulassung der PID wäre ein "fundamentaler Paradigmenwechsel", wirft der engagierte Katholik den PID-Befürwortern vor. "Wir ermöglichten damit eine Qualitätsüberprüfung menschlichen Lebens." Da das Menschsein von Anfang an gelte, ergebe sich daraus ein Verbot der Instrumentalisierung. Auch das Selbstbestimmungsrecht und die Freiheit der Frau rechtfertigten einen solchen Eingriff in das Lebensrecht nicht.

Auch Katrin Göring-Eckardt (Grüne) wirbt eindringlich für ein Verbot. Es gehe um die Frage, ob in der Gesellschaft Unterschiedlichkeit zugelassen werde. Auch die Diagnostik während der Schwangerschaft sei einmal für Ausnahmefälle gedacht gewesen. Heute werde sie in einer Weise angeboten, dass schwangere Frauen unter Druck gerieten. Diese Gefahr sieht die Bundestagsvizepräsidentin, die als Synodenpräses in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) engagiert ist, auch bei einer begrenzten Zulassung der PID.

Sehr deutliche Mehrheit für den weitgehendsten Antrag

Zum Schluss obsiegen jedoch die Argumente der Befürworter. Mit unerwartet klarer Mehrheit setzt sich der Gesetzentwurf der Gruppe um Ulrike Flach (FDP) schon im ersten Abstimmungsgang durch: 306 Abgeordnete entscheiden sich für die begrenzte Zulassung der PID. 228 stimmen für ein Verbot. 58 Parlamentarier votieren für den Kompromissantrag. Die Schlussabstimmung bestätigt die PID-Befürworter auf ganzer Linie: Sie erhalten 326 der 594 gültigen Stimmen.

Der Antrag von Ulrike Flach bekam eine deutliche Mehrheit (Foto: dpa / Robert Schlesinger)

Damit können sich Paare, deren Kind an einer schweren Erbkrankheit leiden könnte, künftig für eine künstliche Befruchtung mit anschließendem Gentest der Embryonen entscheiden. Nur ein gesunder Embryo wird eingepflanzt. Auch Frauen, die bereits Fehl- oder Totgeburten durchlitten haben, steht die Möglichkeit der PID offen. Das entspricht dem Urteil des Bundesgerichtshofs zur PID, das vor fast exakt einem Jahr erging. Nach dem neuen Gesetz muss zusätzlich eine Beratung der Betroffenen erfolgen, und eine Ethik-Kommission muss über jeden Einzelfall entscheiden.

Betroffene Eltern sprachlos

Wer angesichts dieser Regelung von "Dammbruch" oder "Designerbabys" spreche, gehe an der Lebenswirklichkeit meilenweit vorbei, sagt Peter Hintze (CDU) in der fast vierstündigen Debatte. Betroffene Eltern würden mit diesen Schlagworten fassungslos gemacht. Wenn Abtreibung zugelassen werde, könne nicht die Vermeidung von Abtreibung verboten werden, betont der evangelische Theologe.

Der SPD-Abgeordnete Karl Lauterbach, der ebenfalls den Flach-Antrag unterstützt, geht einen deutlichen Schritt weiter. Dass ein Embryo vor der Einnistung in die Gebärmutter schon ein Mensch sei, sei für ihn eine religiöse Position. Diese könne nicht Grundlage der Gesetzgebung sein. Diese Haltung teilen viele Abgeordnete seiner Gruppe nicht. Die meisten erachten einen Fötus im Mutterleib jedoch für schützenswerter als einen Embryo in der Petrischale. Im Reagenzglas allein reife kein Mensch heran, sagt Kerstin Griese (SPD).

So sehr sich alle an diesem Vormittag um Sachlichkeit und Fairness bemüht haben, als Bundestagsvizepräsident Eduard Oswald (CSU) das Ergebnis bekannt gibt, kann sich Ulrike Flach eine triumphierende Geste nicht verkneifen. Seit Jahren gehört die heutige Parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium zu den Initiatoren weitreichender bioethischer Anträge. Oft ist sie unterlegen. Heute nicht.

epd