In den vergangenen Monaten ließ Kiir selbst kriegerische Provokationen des Nordens in der Grenzregion Abyei und anderen Gebieten unbeantwortet, um die Unabhängigkeit des Südsudans nicht in letzter Minute zu gefährden. Doch während seine Landsleute den Tag ausgelassen feiern werden, dürfte sich der Staatschef bereits Gedanken über die fragile Zukunft der jungen Nation machen.
Sein Alter weiß er nur ungefähr
Schon als Teenager hatte sich der aus einfachen Verhältnissen stammende Kiir, der sein Alter heute selbst auf etwa 60 schätzt, der Rebellion angeschlossen. Im mehr als 20 Jahre tobenden Bürgerkrieg des mehrheitlich christlich-animistischen Südens gegen die Truppen des arabisch-islamischen Nordens macht er sich früh einen Namen als Militärstratege. Er steigt zum Geheimdienstoffizier der südsudanesischen Rebellenarmee SPLA auf. Deren Chef John Garang, den Kiir in einem Führungsstreit stützt, macht Kiir schließlich zu seinem Stellvertreter.
In dieser Funktion führt Kiir die Friedensverhandlungen mit der Regierung in Khartum. Das Machakos-Protokoll, den Vorläufer des im Januar 2005 geschlossenen Friedensabkommens, unterzeichnet er, nicht Garang. Dennoch gilt Kiir als ewiger Zweiter. Während der charismatische Garang die Massen in seinen Bann schlägt, redet Kiir, der stets seinen schwarzen Cowboyhut trägt, eher langsam. Garang berauscht die Massen mit Visionen von einem neuen Sudan, in dem es Schulen, Straßen, Hospitäler und Arbeit geben soll. Kiir schweigt.
Doch dann stirbt Garang Mitte 2005 bei einem Hubschrauberabsturz. Kiir übernimmt das Ruder - und steuert den Südsudan im Verborgenen, aber effizient in die Unabhängigkeit. 99,57 Prozent der Südsudanesen votieren bei der Volksabstimmung Anfang des Jahres für die Loslösung vom Norden. Die sichtbaren Ergebnisse seiner Arbeit haben Kiir mittlerweile auch im Volk beliebter gemacht. "Hätten wir einen radikaleren Anführer gehabt, wären wir nie so weit gekommen", glaubt Barnaba Marial Benjamin, ein langjähriger Mitstreiter Kiirs und Südsudans Informationsminister.
Eines der ärmsten Länder der Welt
Doch der Krieg ist noch nicht gewonnen, warnen nahezu alle Beobachter im Südsudan, der eines der ärmsten Länder der Welt sein wird. Zu viele Fragen zwischen Dschuba und Khartum sind noch offen, allen voran die der Grenzziehung. Der Verbleib der ölreichen Grenzprovinz Abyei, wo Khartum Kämpfe zwischen sesshaften Bauern und nomadischen Viehhirten anheizt, ist ebenso ungeklärt wie die künftige Aufteilung der Ölgewinne. Das am Dienstag verabschiedete Rahmenabkommen, das Kämpfe in den Provinzen Südkordofan und Blue Nile beenden soll, löst nicht die dem Konflikt zugrunde liegenden Probleme.
Mehr als eine Million Südsudanesen werden nach Schätzungen bis Ende des Jahre in ihre alte Heimat zurückgekehrt sein. Doch dort erwartet sie - nichts. Die wenigen Häuser, die es gibt, werden zu absurden Preisen vermietet. Fehlende Infrastruktur und umherstreifende Banditen sorgen dafür, dass Rückkehrer sich nicht trauen, in die Fläche zu ziehen und das an sich fruchtbare Land zu bestellen. Selbst von den auf mehrere tausend geschätzten internationalen Entwicklungshelfern arbeitet kaum jemand außerhalb der Hauptstadt Juba.
Korruption und Vetternwirtschaft innerhalb der Regierungspartei und Proteste kleinerer Ethnien gegen die politische Übermacht der Dinka-Volksgruppe, zu der auch Kiir gehört, heizen die Spannungen weiter an. Die im Buschkrieg aufgewachsene Bevölkerung kann oft weder lesen noch schreiben, Arbeit gibt es nicht - aber jeder besitzt eine Waffe. Nicht wenige befürchten deshalb, dass dem neuen Staat schon kurz nach seiner Unabhängigkeit ein neuer Bürgerkrieg drohen könnte: diesmal innerhalb des Südsudans. Diesen zu verhindern ist Salva Kiirs womöglich größte Bewährungsprobe.