Bundesregierung senkt Steuern - Finanzierung unklar
Die Grundsatzeinigung wurde im Kabinett "zur Kenntnis genommen": 2013 sollen Steuern und Sozialabgaben sinken. Über Umfang und Finanzierung wird nun bis Herbst gestritten. Minister Schäuble sieht weiter wenig Spielraum. Die "kalte Progression" aber soll angegangen werden.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich nach langem Streit über Steuerentlastungen im Wahljahr 2013 verständigt. Das Kabinett unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nahm am Mittwoch in Berlin einen Beschluss der Parteivorsitzenden der Koalitionspartner CDU, CSU und FDP "zur Kenntnis". Zugleich brachte die Regierung den Etatentwurf 2012 sowie den Finanzplan bis 2015 auf den Weg.

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) dämpfte allerdings erneut die Erwartungen. "Wir haben wenig Spielraum für Steuerentlastungen", sagte er bei der Vorlage seiner Etatpläne. "Wir müssen uns aber mit dem Problem der 'kalten Progression' beschäftigen." Dies sei angesichts weiterer Steuermehreinnahmen möglich. "Das kriegen wir in der Finanzplanung unter, wenn die Entscheidungen getroffen sind."

Beschluss greift ab Januar 2013

Die "kalte Progression" wirkt dann, wenn Arbeitnehmer trotz Lohnzuwächsen aufgrund einer hohen Preissteigerung nach Steuerabzug durch den Fiskus am Ende weniger Geld in der Tasche haben.

Aus Sicht von FDP-Chef und Wirtschaftsminister Philipp Rösler gibt die Regierung mit dem "Grundsatzbeschluss" eine klare Richtung vor. "Wir wollen zum 1. Januar 2013 die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen steuerlich entlasten." Zugleich würden die Lohnzusatzkosten und die "kalte Progression" verringert.

Schäuble sagte zum Ziel bei der "kalten Progression": "Das kann man als Steuerentlastungen bezeichnen. Man kann auch sagen: Das sind Korrekturen und nicht vom Gesetzgeber gewollte Steuermehreinnahmen", sagte Schäuble. Die Bedeutung der "kalten Progression" habe angesichts "gewisser Preissteigerungstendenzen" zugenommen. Möglich seien Korrekturen - etwa beim Grundfreibetrag und Tarif. Eine automatische Anpassung an die Inflationsrate lehnte er ab.

Der "Soli" soll bleiben

Überlegungen der FDP, angesichts des Länder-Widerstands gegen Steuersenkungen den Solidaritätszuschlag abzuschaffen, erteilte Schäuble eine Absage. Wie das Problem der "kalten Progression" über den Solidaritätszuschlag zielgerichtet bekämpft werden könne, überschreite seine Vorstellungskraft. Bei einem Wegfall des "Soli" würden dem Bund jährlich zwischen 12 und 15 Milliarden Euro fehlen.

Zum Umfang der Korrekturen wollte sich Schäuble nicht äußern. Dies werde laut Beschluss der Parteivorsitzenden bis Herbst entschieden. Er gehe davon aus, dass auch Länder und Kommunen mitziehen. Diese müssten ein Interesse daran haben, nicht die Inflation zu fördern. Es gehe um den Verzicht auf nicht gewollte Steuermehreinnahmen.

Das Phänomen der "kalten Progression" gibt es seit Jahrzehnten. Aufgrund steigender Steuersätze fallen bei Lohnzuwächsen - wie auch jetzt im Aufschwung - mehr Einkommensteuern an. Problematisch wird es erst dann, wenn die Lohnzuwächse brutto lediglich zu einem Ausgleich der Preissteigerung führen. Der Fiskus kassiert dann für mehr Bruttolohn auch mehr Steuern nach höheren Tarifsätzen. Trotz Inflationsausgleichs sinkt dann die reale Kaufkraft der Steuerzahler.

Kalkulation auf neuer Basis

In den Etatplänen Schäubles sind Einnahmeausfälle in Folge von Steuersenkungen nicht vorgesehen. Hintergrund sind neue Lasten für die Euro-Rettung, anhaltende Risiken sowie nicht eingelöste Sparvorgaben. Dies schlägt sich auch in der Neuverschuldung nieder.

Zwar fällt die Nettokreditaufnahme in diesem Jahr mit weniger als 30 Milliarden Euro und im kommenden Jahr mit 27,2 Milliarden Euro weit geringer aus als zuletzt veranschlagt. In den Folgejahren kann Schäuble die Nettokreditaufnahme aber weniger stark drücken als noch Mitte März geplant. 2015 muss er sich noch 14,7 Milliarden Euro leihen. Im März hatte er "nur" 13,3 Milliarden Euro vorgesehen.

Das gesamte Defizit von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialkassen könnte 2011 auf unter zwei Prozent der Wirtschaftsleistung gedrückt werden. Es liegt damit zwei Jahre früher als im Defizitverfahren gefordert unter der Obergrenze von 3,0 Prozent.

Höhere Schulden und mehr Zinsverpflichtungen

Als wesentliche neue Belastung gegenüber den Etat-Eckpunkten vom März schlagen ab 2013 alljährlich 4,3 Milliarden Euro zu Buche, die der Bund an den künftigen Euro-Rettungsfonds ESM abführen muss. Höhere Schulden bedeuten auch mehr Zinslasten.

Mehrkosten ergeben sich beim Zuschuss an die Rentenkasse sowie für "Überhangpersonal" bei der Bundeswehr. Offen ist, wie eine Sparvorgabe von je 4,8 Milliarden Euro für 2014 und 2015 erreicht wird. Unterm Strich sind 2012 Gesamtausgaben von 306 Milliarden Euro veranschlagt, gut zwei Milliarden mehr als im März. Sie klettern bis 2015 auf 315 Milliarden, 5,5 Milliarden Euro mehr als im Frühjahr.

Bei den Steuereinnahmen geht Schäuble zwar von einem zusätzlichen Plus aus. Es fallen aber auch Mindereinnahmen an - etwa bei der Atomsteuer. Unklar ist zudem, ob es zu den Einnahmen von jährlich zwei Milliarden Euro aus einer Finanzsteuer kommt, die bereits auf 2013 verschoben wurden. Auch fehlen Einnahmen im Zuge der Energiewende. Dafür will Schäuble 2012 mehr Privatisierungserlöse erzielen.

Gabriel fordert "absoluten Vorrang" für Schuldenabbau

SPD-Chef Sigmar Gabriel hat die Haushaltspolitik der Bundesregierung scharf angegriffen. Gabriel warf der schwarz-gelben Koalition am Mittwoch vor, keine Vorsorge für die Herausforderungen der kommenden Jahre zu treffen. Dies gelte vor allem "für denkbare Risiken in der wirtschaftlichen Entwicklung oder vom Euro".

Besonders hart ging Gabriel mit den Koalitionsplänen für Steuersenkungen ins Gericht: "Endlich haben wir eine Schuldenbremse in der Verfassung, die den Politikern verbietet, Wahlgeschenke auf Pump zu finanzieren. Und zum ersten Mal, wo diese Schuldenbremse in Gang kommen soll, verstoßen CDU, CSU und FDP gegen dieses Prinzip, keine Politik mehr auf Pump und zulasten von Schulden zu machen."

Der Abbau der Verschuldung müsse "absoluten Vorrang" haben, betonte der SPD-Chef. "Wir können es uns nicht leisten, immer mehr der hart erarbeiteten Steuergelder für Zinsen an Banken zu verschenken, nur weil die Politik Wahlversprechen macht, die man hinterher nicht einhalten kann."

dpa