TV-Tipp: "Tatort: Außer Gefecht" (Hessen Fernsehen)
Ein fesselnder Kriminalfall, trotz simpler Geschichte - die Enge im Fahrstuhl und die innere Beklemmung der Figuren summieren sich zu Fernsehunterhaltung mit Anspruch.
06.07.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Tatort: Außer Gefecht", Samstag, 9. Juli, 21.45 Uhr im Hessen Fernsehen

Dieser Film ist nicht nur ein fesselnder Krimi, sondern auch ein reizvolles Experiment: "Außer Gefecht" wird in Echtzeit erzählt. Der Effekt verpufft allerdings, weil die Handlung zur echten "Tatort"-Zeit spielt, die Wiederholung aber erst neunzig Minuten beginnt. Die immer wieder zu sehenden Uhren wirken dennoch wie ein Countdown: Franz Leitmayr ist vergiftet worden. Kollege Ivo Batic bleiben ab circa 20.30 Uhr sechzig Minuten, um ihn zu retten.

Das Problem: Gemeinsam mit seinem zukünftigen Mörder ist Leitmayr im Fahrstuhl des Münchener Olympiaturms gefangen, 65 Meter über dem Erdboden. Zum Spannungskiller dieses von Friedemann Fromm inszenierten Films wird allerdings gelegentlich die Botschaft, die Autor Christian Jeltsch im Sinn hatte. Seine flammenden Plädoyers gegen den Pflegenotstand sind zwar aller Ehren wert, wirken aber wie ein Bremsklotz; streckenweise entsteht der Eindruck, der Krimi sei bloß die Verpackung für sein Anliegen. Dass die Geschichte diese Phasen einigermaßen unbeschadet übersteht, zeigt bloß, wie herausragend "Außer Gefecht" hätte werden können.

Die Handlung ist vergleichsweise schlicht, weil sich die wichtigsten Dinge schon vorher ereignet haben: Ein "Todesengel" hat zwölf Menschen getötet; oder auch, wenn man so will, von ihrem Leid erlöst. Aus unerfindlichen Gründen ist Leitmayr (Udo Wachtveitl) geradezu besessen davon, den Krankenpfleger zur Strecke zu bringen. Nach einem anonymen Anruf legen sich die Kommissare im Restaurant des Olympiaturms auf die Lauer. Weil der Verdächtige (Jörg Schüttauf) im Lift zwei Spritzen deponiert hat, kann er Leitmayr überrumpeln. Der zuvor manipulierte Fahrstuhl bleibt stecken, die Ausstiegsluke ist blockiert, der Notruf defekt. Dem Polizisten bricht der Schweiß aus: Der Pfleger kündigt ihm eine Stunde Qualen an. Er will ihn nachvollziehen lassen, wie sich Menschen fühlen, für die der Tod eine Erlösung wäre.

Schwindelerregende Bilder

Immerhin hat Jeltsch hat eine interessante Erklärung für Leitmayrs Engagement: Unter den Opfern war auch sein Vater. Eindringlich beschreibt der Pfleger, wie sich Leitmayr senior und mit ihm viele andere fühlen, wenn sich die eigenen Kinder immer seltener blicken lassen und selbst am Geburtstag keine Zeit haben. Dank der klaustrophobischen Enge im Fahrstuhl und der darstellerischen Qualität Schüttaufs, der den Pfleger ansonsten stark zurückhaltend, fast schon verdruckst anlegt, ist diese Szene ungleich berührender als der ganz ähnliche Vortrag einer Altenpflegerin (Ulrike Krumbiegel).

Ohnehin ist es vermutlich Fromm (Grimme-Preis für "Unter Verdacht") zu verdanken, dass der "Tatort" nicht bloß zum Vehikel für eine Botschaft geworden ist. Die Bilder aus dem Lift, der von zwei Lampen in stellenweise gleißende Helligkeit getaucht wird (Kamera: Hanno Lentz), erinnern in ihrer Intensität an Carl Schenkels packenden Aufzug-Thriller "Abwärts". 


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).