"Zenit überschritten": Steinbrück rempelt Kanzlerin an
Ein alter SPD-Kämpe meldet sich zurück: Ex-Finanzminister Peer Steinbrück sieht Deutschland schlecht regiert und bescheinigt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), sie habe "ihren Zenit überschritten". Will er ihr Nachfolger werden?

Merkel sei in einer "veritablen Führungskrise", sagte Steinbrück dem Magazin "Stern" laut einer Mitteilung vom Mittwoch. Er sei enttäuscht von ihrem Krisenmanagement. Merkel habe ihren Zenit überschritten. Steinbrück werden Ambitionen nachgesagt, die SPD als Kanzlerkandidat in den Bundestagswahlkampf 2013 zu führen. Im "Stern"-Interview ließ er Sympathien für eine Urwahl des Kanzlerkandidaten erkennen: "Ich gewinne der Mitgliederbefragung bei der Kür von Spitzenkandidaten viel ab."

"SPD steht altbacken da"

Mit dem Zustand seiner eigenen Partei zeigte sich Steinbrück unzufrieden. Die SPD stehe sehr altbacken da. "Wir haben uns in der Vergangenheit zu häufig selbst dementiert. Wir haben bei der Agenda 2010 unseren Stolz aufgegeben." Von seiner Kritik nahm Steinbrück Parteichef Sigmar Gabriel aus. Er habe die Partei sehr gut stabilisiert. Mit Blick auf die Griechenlandkrise sprach Steinbrück sich für einen anderen Umgang mit Banken aus, die in ihrer Existenz bedroht sind. "Im Zweifel muss eine Bank geordnet abgewickelt werden und vom Markt verschwinden. Dafür gibt es Verfahren. Wir brauchen ein europäisches Bankeninsolvenzrecht."

Erst am Dienstagabend war Steinbrück für seine Analyse der Finanzkrise, die er im vergangenen Jahr unter dem Titel "Unterm Strich" vorgelegt hatte, mit dem Preis "Das politische Buch 2010" ausgezeichnet worden. Der Sozialdemokrat und Ökonom blickt in seinem Buch auch auf seine Amtszeit bis Herbst 2009 und seine Rolle in Spitzenämtern der SPD zurück. Die Friedrich-Ebert-Stiftung begründete die Entscheidung unter anderem damit, dass Steinbrück in "herausragender Qualität" die Schwächen des bestehenden Systems beschrieben sowie Alternativen aufgezeigt habe. Dabei habe er kein Blatt vor den Mund genommen.

Die Festrede am Dienstagabend hielt Steinbrücks Nachfolger im Amt des Finanzministers, Wolfgang Schäuble. Der CDU-Politiker nannte Steinbrücks 480-Seiten-Werk ein "lesenswertes Buch, das viele Anstöße gibt". Bei der Preisverleihung zeigten die beiden Politiker viel Sympathie füreinander. Beide Politiker schätzen sich und kennen sich aus gemeinsamen schwarz-roten Kabinettszeiten. Schon allein dafür, dass Schäuble in dem völlig überfüllten Saal der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung die Festrede hielt, bekam er reichlich Beifall.

Schäubles Witzeleien über Schwarz-Gelb

Schäuble hielt eine launige Rede und witzelte dabei auch auch über Schwarz-Gelb. Nicht nur zu Beginn gewann er das wahrscheinlich überwiegend sozialdemokratische Publikum. Als das Podium zu seiner Festrede hochgefahren wurde, konnte sich der CDU-Mann den Satz nicht verkneifen: "Sobald ich da bin, geht's aufwärts." Und natürlich sei er gerne gekommen, schließlich hätten Vorgänger und Nachfolger ein gutes Verhältnis. Aber man könne ja einen Politiker nicht mehr einfach als liebenswürdig bezeichnen. Das - so Schäubles kleiner Seitenhieb in Richtung FDP-Chef Philipp Rösler - könne ja heutzutage falsch verstanden werden.

Und Sparkommissar Schäuble, der sich seit dem Koalitionsstart mit dem liberalen Regierungspartner reibt, stellte auch gleich eine weitere Gemeinsamkeit mit Steinbrück fest: "Je mehr man sich mit den eigenen Reihen anlegt, umso mehr gewinnt man Zustimmung in der Öffentlichkeit." Steinbrück kann ein Lied davon singen. Ganz ohne Kritik an seinem Vorgänger kam Schäuble aber nicht aus. Er erinnerte an die gemeinsame Kabinettszeit. Im September 2008 hatte Steinbrück im Bundestag - kurz nach der Mega-Pleite der US-Bank Lehman und damals noch Optimismus predigender Finanzminister - behauptet, von einer Rezession könne keine Rede sein.

Ein kolossaler Irrtum. Er selbst, erinnert sich Schäuble, habe seinerzeit auf der Regierungsbank gedacht: "Der muss es ja so sagen." Dann aber bitte möge Steinbrück doch dem Amtsnachfolger nicht vorwerfen, wenn dieser sich in ähnlicher Situation ebenso verhalte. Auch Steinbrücks Forderung nach einem Schuldenschnitt in Griechenland konnte Schäuble nicht teilen und mahnte: "Wahrheit heißt nicht, alles zu sagen, was man gerade im Kopf hat."

Spekulationen um Kanzlerkandidatur

Am Ende der Festrede blitzte dann doch der CDU-Politiker durch, Schäuble griff die seit Wochen andauernden Spekulationen um Steinbrücks mögliche SPD-Kanzlerkandidatur auf und machte das, was auch Steinbrück gerne tut: Er nutzte ein Sprichwort und zitierte Cicero süffisant: "Vor Männern, die behaupten, dass sie ein Amt nicht für sich selbst anstreben, muss man sich immer in Acht nehmen. Das sind die eitelsten von allen." Langer Beifall. Steinbrück nahm den "leicht vergifteten" Cicero-Spruch natürlich sportlich, machte sich über seine Anfänge als Buchautor lustig und kokettierte mit Blick auf die jüngsten Plagiatsaffären von Politikern damit, dass er "Zeile für Zeile" selbst geschrieben habe.

Um das leidige Thema Kanzlerkandidatur Steinbrücks kam auch Peter Struck, bis Herbst des vorvergangenen Jahres SPD-Fraktionschef und inzwischen Vorsitzender der parteinahen Friedrich-Ebert-Stiftung, nicht herum: Zwar würden die letzten Sätze in Steinbrücks Buch sehr nach politischer Schlussbilanz klingen. Aber, so der einstige SPD-Strippenzieher: "Wo und an welcher Stelle auch immer Du wirkst, lieber Peer, Du hast meinen Segen."

Peer Steinbrück: Unterm Strich, Hamburg 2010. Verlag Hoffmann und Campe, 480 Seiten, 23 Euro.

dpa