Fußball: Auch auf der Straße träumen sie vom Titel
Während sich die deutschen Fußballfrauen gerade an ihren frischen WM-Ruhm gewöhnen, bereiten sich die besten deutschen Obdachlosenteams auf die nationale Meisterschaft vor. Nächstes Wochenende kämpfen in Wiesbaden rund 20 Teams um den Wanderpokal. Auch die "Lilien-Kicker" sind heiß auf den Cup.
02.07.2011
Von Johannes Bentrup

"Wenn ich 'Los' rufe, sprintet ihr voll Power!" Trainer Volker Stabel nimmt die obdachlosen Kicker beim Aufwärmen hart ran. Nur kurz warten die Spieler in Zweierreihen auf sein Kommando, dann wird auf dem kleinen, überdachten Trainingsplatz in Gustavsburg bei Mainz losgespurtet. Vasile zieht schnell davon, ein Teamkamerad dagegen schnauft gehörig. Die schweißtreibende Vorbereitung muss sein: Die Kicker wollen gut gerüstet sein für die Deutsche Meisterschaft im Straßenfußball in Wiesbaden.

Große Vorfreude

Alle neun Spieler sind voller Vorfreude. Für die Obdachlosen-Mannschaft "Lilien-Kicker" steht der Höhepunkt der Saison kurz bevor: Bei der Deutschen Meisterschaft am kommenden Wochenende (8./9. Juli) wetteifern rund 20 Teams mit vorwiegend obdachlosen Menschen um einen Wanderpokal. Gespielt wird im Herzen Wiesbadens, auf dem schmucken Schlossplatz zwischen Landtag und Rathaus. Mit Netzen, Banden und Hartgummi-Platten werden ein Spielfeld und eine Tribüne für bis zu 200 Zuschauer errichtet.

"Ich bin richtig heiß drauf", sagt Wolfgang Bischoff in einer kurzen Trainingspause. Es sei toll, dass Freunde, Verwandte und seine Freundin zum Zuschauen kommen könnten. Dann wird die Miene des 40-Jährigen etwas besorgter und er zeigt auf den kleinen Finger der rechten Hand, der in einer Plastik-Schiene steckt. Eigentlich soll er deswegen vorerst keinen Sport machen, doch für ihn ist die Teilnahme an dem Turnier so wichtig, dass er das Risiko eingeht, noch mal einen Schlag auf die Verletzung zu bekommen. "Die Mannschaft bedeutet mir sehr viel", sagt Bischoff und schwört auf den Zusammenhalt.

Wolfgang und drei Mitspieler haben derzeit eine Bleibe im Übergangswohnheim des Diakonischen Werks in Wiesbaden-Erbenheim. Fester Ansprechpartner für ihn ist Michael Kiel, Sozialarbeiter in der Einrichtung und Trainer der Lilien-Kicker. 16 Menschen, die wohnungslos waren oder es sind, die in Armut und Hoffnungslosigkeit feststeckten oder verharren, gehören derzeit dem Team an.

Wer regelmäßig trainiert, spielt auch

Kiel sagt, es sei lebensfremd zu erwarten, dass obdachlose Menschen, die ohne Struktur und feste Tagesabläufe lebten, immer zuverlässig zum Training erschienen. Doch wer wie oft kommt, wird für Kiel ein entscheidendes Kriterium bei der Nominierung der Turnierspieler sein. Bei der Deutschen Meisterschaft dürfen nur acht Spieler pro Mannschaft gemeldet werden, auf dem Platz spielen drei Feldspieler und ein Torwart.

Fast ohne Pause und mit enormem Tempo flitzt Vasile über das Feld. Er hat eine sehr gute Schusstechnik und macht ein Tor nach dem anderen. Reden mag er heute kaum: "Was soll ich sagen?", meint er in fast akzentfreiem Deutsch: "Wir wollen nur gewinnen. Wir wollen, dass die Zuschauer kommen und uns unterstützen."

Auch für Christian (38) ist es "ganz und gar nicht peinlich", dass er bei der Obdachlosen-Meisterschaft mitmacht. Der Mann mit den wachen Augen und dem wilden Bart berichtet von seinem Absturz, der vor fünf Jahren begann: Seine Frau verließ ihn und nahm das gemeinsame Kind mit. Auf mehr Details will er nicht eingehen: "Irgendwann hat man die Wohnung verloren, und dann war Ende." So landete er auf der Straße.

Vor kurzem schaffte Christian den ersten Schritt in eine bessere Zukunft und verweist auf das Übergangwohnheim, in dem er jetzt lebt. Seit einem halben Jahr spielt bei den Lilien-Kickern: "Das ist eine Auffangstation."

epd