Erst Anfang dieses Jahres hatten Regierungsvertreter eine rund acht Meter hohe Bronzestatue des Denkers vor dem Nationalmuseum nahe dem Tiananmen-Platz in Peking eingeweiht. Blumenbeete umgaben ihn. Konfuzius blickte ruhig geradeaus und hatte die Hände unter seinem langen Gelehrtengewand vor der Brust verschränkt. Ende April verschwand Meister Kong, so sein chinesischer Name, plötzlich hinter blauen Bauzäunen - und schließlich ganz.
Dorn im Auge der Kommunisten
Lange Zeit war Konfuzius der kommunistischen Regierung der Volksrepublik ein Dorn im Auge: Sein auf hierarchische Beziehungen basierendes Ordnungskonzept widersprach dem revolutionären Fortschritt. Während der Kulturrevolution (1966-76) zerstörten die jugendlichen Roten Garden Konfuzius-Denkmäler. Doch jüngst schien dies alles vergessen. Mit Konfuzius' Einzug ins politische Machtzentrum wollte die chinesische Führung den vorläufigen Schlusspunkt unter die seit Jahren vorangetriebene Propagierung traditioneller Werte setzen. Die Revolutionäre von einst wollten sich der Bevölkerung als nationale Regierungspartei präsentieren.
Aber wohl nicht alle, wie chinesische Politikbeobachter nach dem plötzlichen Abzug der Statue vermuten. "Die konfuzianische 100-Tage-Reform ist gescheitert", schrieb Zhu Wenjia in der Hongkonger Zeitschrift "Dongxiang" in Anlehnung an Modernisierungsbemühungen des Kaisers Guangxu Ende des 19. Jahrhunderts. "Gewonnen haben die Neo-Maoisten um Bo Xilai." Damit nimmt er Bezug auf Bo, ehemaliger Handelsminister und nun Parteichef in der westlichen Metropole Chongqing. Er propagiert dort mit einem populistischen Feldzug gegen "kriminelle Kapitalisten" und einer Pflichtbeschallung mit "roten Liedern" eine Rückbesinnung auf die maoistische Zeit.
International möchte sich Peking mit den 2004 ins Leben gerufenen Konfuzius-Instituten (über 300 in 96 Ländern) als alte neue Kulturmacht inszenieren. Innerhalb der urbanen chinesischen Gesellschaft erfreut sich der Philosoph in der immer lauter werdende Debatte über Chinas Wertebasis wachsender Beliebtheit. Institute bieten "Konfuzius für Manager"-Kurse an und lehren die Rückkehr zur moralischen Pflicht und goldenen Mitte. Eltern schicken ihre Kinder zusätzlich in "Konfuzius-Schulen", damit sie Selbstdisziplin lernen.
Ein "Feind der Kreativität"?
Hierarchisierte Herrschaftselemente in der Lehre des Konfuzius sehen liberale Intellektuelle als Gefahr für eine freiheitlich-demokratische Entwicklung der Volksrepublik. Der Philosoph biete keinerlei Ideen für die Fragen von sozialer Gerechtigkeit oder individueller Freiheit, meint etwa der Politikwissenschaftler Liu Junning. Und Konfuzius sei ein Feind der Kreativität. Andere sehen das weniger streng. "Egal ob es einem gefällt oder nicht, Konfuzius symbolisiert die chinesische Kultur und China", schrieb der Feuilletonist Qiu Feng. "Aber er ist zu jeder Zeit anders interpretiert worden, und auch heute hat man das Recht und die Verantwortung dazu."
Aber wer ist Konfuzius eigentlich? Heute einer der bekanntesten Denker Chinas, fand er zu Lebzeiten kaum Gehör. Der Philosoph war nach einer kurzen politischen Karriere 13 Jahre auf Wanderschaft im Exil, weil in der heutigen östlichen Provinz Shandong der Herrscher gewechselt hatte. In einer Zeit des Umbruchs schenkte kein benachbarter Fürst Konfuzius' Lehre von einer Staatsordnung Beachtung, die auf Tugenden basiert. Bei seinem Tod hinterließ er keine Schriften. Erst seine Anhänger schrieben etwa 100 Jahre nach seinem Tod seine Ideen nieder.
Im Zentrum seiner Lehre steht die "rechte Ordnung" von Staat und Gesellschaft. Grundlage ist tugendhaftes Verhalten, eingebettet in hierarchische soziale Beziehungen. Durch Bildung soll der kultivierte "Edle" die vier zentralen Tugenden Mitmenschlichkeit, Gerechtigkeit, Pietät und richtiges Verständnis der Riten verinnerlichen und praktizieren. Die Herrscher der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) erhoben die konfuzianischen Ideen erstmals zur Staatsphilosophie. Die von ihm empfohlenen Klassiker wurden zum Prüfungskanon für Beamte.
Erfindung der Jesuiten
Seitdem haben Herrscher und Intellektuellen seine Lehre als "Konfuzianismus" neu systematisiert, erweitert und oft abweichend vom ursprünglichen Sinn interpretiert. Der Begriff stammt indes aus dem Westen. Jesuitische Missionare erfanden ihn im 17. Jahrhundert und prägten auch die Vorstellung, bei den Lehren des Konfuzius handele es sich um eine Art Religion. Nach christlicher Vorstellung musste ein so wichtiges Kulturvolk wie China eine Religion haben; die Jesuiten - die noch heute in der Ostasienmission tätig sind - wollten die Chinesen nicht einfach als Heiden bezeichnen.