Organspende: Respekt vor dem großen Geheimnis des Sterbens
Muss man nicht alles tun, was man tun kann, um Menschenleben zu retten? Oder gibt es dafür eine Grenze, die wir nicht überschreiten sollten? Das ist eine Frage, die auch die christliche Ethik nicht eindeutig beantworten kann.
30.06.2011
Von Pfarrerin Angelika Obert

Die Frage stellt sich in der Debatte um die Organspende, über die in dieser Woche die Gesundheitsminister der Ländern berieten: Wenn bei einem Menschen der Hirntod eingetreten ist, sollte er dann mit seinen gesunden Organen nicht anderen Kranken helfen? Seit es die Transplantationsmedizin gibt, leben Tausende mit der Hoffnung auf das Organ, das ihnen ein Weiterleben ermöglichen kann: eine neue Leber, eine neue Lunge, ein neues Herz.

Ihre Hoffnung ist an Wartelisten gebunden und wer sich in ihre Lage versetzt, kann ihnen nur wünschen, dass sie nicht vergeblich warten müssen. Es stehen immer zu wenige Organe zur Verfügung, denn es sind nicht viele, die sich dafür entscheiden, einen Organspendeausweis auszufüllen. Jedes Jahr sterben tausend Menschen, weil sie das nötige Organ nicht bekommen. 

Darum sagen nun Manche, wir sollten es in Deutschland genauso machen wie in anderen Ländern, dass die Organspende bei einem Hirntod der Normalfall ist und nur dann unterbleibt, wenn die Betroffenen sich ausdrücklich dagegen ausgesprochen haben. Es ist ein Akt christlicher Nächstenliebe, haben die Kirchen schon vor Jahren befunden, wenn ein Mensch bewusst und freiwillig seine Organe zur Transplantation zur Verfügung stellt.

Großer Segen - und doch tiefes inneres Widerstreben

Auch Eltern, die in die Organentnahme bei ihrem verstorbenen Kind einwilligen, sollten wissen, dass sie damit etwas Gutes tun. Sehr anrührend steht dafür der palästinensische Vater, der vor ein paar Jahren in einem israelischen Krankenhaus die Organe seines erschossenen Sohnes freigab. Seine großmütige Entscheidung hat Segen gebracht – noch weit über die medizinische Hilfe hinaus. 

Ich habe das alles vor Augen und trage trotzdem keinen Organspendeausweis bei mir. Wer jetzt vermutet, dass ich ein wenig faul bin und Angst habe vor der Auseinandersetzung mit dem Tod – nun, ganz ausschließen kann ich das nicht. Aber nachgedacht habe ich schon und bin dabei immer wieder bei einem tiefen inneren Widerstreben gelandet. Ich möchte weder für mich noch für andere in diese Art des Sterbens einwilligen, bei der das Leben erst künstlich verlängert und dann chirurgisch beendet wird.

Ich kann mir gut vorstellen, dass die Möglichkeiten, eine Niere zu spenden, erweitert werden. Aber ich finde es falsch, wenn über den menschlichen Sterbeprozess verfügt wird. Ich glaube, dass die Würde des Menschen und die Achtung vor seiner Personalität gerade in den Stunden seines Sterbens gehütet werden müssen. Für mich gibt es diese Grenze, deren Überschreitung ich nicht mit vollziehen möchte.

Das Menschsein auf die Hirnfunktion reduzieren?

Es fällt mir nicht ganz leicht, das so klar zu sagen, da ich den Hilferuf der Kranken ja im Gewissen höre. In der Tat ist es leichter, das Thema einfach zu verdrängen. Mein Widerstreben ist aber doch mehr als eine Gefühlssache. Auch kenntnisreiche Ärzte haben gegen die Definition des Hirntodes ernsthafte Bedenken, auch sie wissen, dass die Organentnahme ein Eingriff in den Sterbeprozess ist. Und auch kluge Philosophen warnen davor, dass wir das Menschsein auf die Hirnfunktionen reduzieren.

Vor allem aber gibt mir immer wieder zu denken, dass die Menschen aller Kulturen über die Zeiten hinweg ihre Toten geachtet und ihnen Ruhe gegönnt haben – in tiefem Respekt vor dem großen Geheimnis des Sterbens. Ich gehöre zu denen, die sich von dieser Tradition nicht lösen wollen. Und zugleich verstehe ich, dass andere den Gesichtspunkt, mit der Freigabe ihrer Organe helfen zu können, noch wichtiger finden.

Die Organspende sollte eine freiwillige Entscheidung bleiben, dafür treten auch die Kirchen ein. Wer dafür wirbt, sollte umfassend darüber informieren – und von uns als Bürgerinnen und Bürgern darf man erwarten, dass wir der Entscheidung nicht ausweichen, sondern ernsthaft darüber nachdenken.


Diese Andacht von Pfarrerin Angelika Obert aus Berlin lief am 1. Juli 2011 in der Rubrik "Gedanken zur Woche" im Deutschlandfunk. (Foto: rundfunk.evangelisch.de)