"Alleinerziehen ist nichts für Feiglinge"
Alleinerziehende wollen nicht als "Restfamilie" verachtet werden. Sie fordern Anerkennung für ihre Lebensform. Fast 20 Prozent der Kinder in Deutschland leben mittlerweile mit nur einem Elternteil zusammen, zu 90 Prozent sind es die Mütter.
30.06.2011
Von Sabine Damaschke

Ihre Zeugnisse als Sozialpädagogin waren hervorragend. Trotzdem habe keine evangelische Kirchengemeinde sie einstellen wollen, sagt Sabine Placke. Noch nicht einmal als Küsterin. "Alle hatten Probleme damit, dass ich eine ledige, alleinerziehende Mutter war", erzählt Placke. "Es hieß, damit sei ich kein Vorbild für Kinder und Jugendliche." Schließlich fand sie doch noch eine Stelle als Jugendleiterin - mit der Bitte, möglichst bald zu heiraten. Das tat Sabine Placke nicht, sondern gründete 1988 die erste Gruppe alleinerziehender Frauen in ihrem Kirchenkreis im Ruhrgebiet.

"Damals war ich damit eine absolute Vorreiterin", erzählt die 52-Jährige. Sie habe immer dafür gekämpft, dass Alleinerziehende nicht als "Restfamilie" gesehen würden, "sondern man sie als eine von vielen möglichen Lebensformen anerkennt." In ihrer Kirchengemeinde sei ihr das gelungen, meint Sabine Placke. "In Politik und Gesellschaft aber sehe ich noch keine großen Fortschritte."

Zu wenige Krippenplätze, zu kurze Öffnungszeiten

Dabei ist die Gruppe der Ein-Eltern-Familien seit Mitte der 80er Jahre enorm gewachsen. Fast 20 Prozent der Kinder in Deutschland leben mittlerweile mit nur einem Elternteil zusammen, zu 90 Prozent sind es die Mütter. Rund 60 Prozent von ihnen verdienen den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder weitgehend alleine.

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"Alleinerziehen ist nichts für Feiglinge, es erfordert Stärke", meint auch die Berliner Autorin Christina Bylow. Die Rahmenbedingungen seien oft "beschämend". Es fehlten Krippen-Plätze, die Öffnungszeiten der Kindertagesstätten seien begrenzt, viele Schulen hätten nur halbtags geöffnet. Doch die Leistung der Frauen, die oft über viele Jahre hinweg die Kindererziehung bei einem Vollzeitjob alleine schulterten, werde in der Gesellschaft nur selten anerkannt. Die Medien vermittelten meist ein sehr einseitiges Bild der alleinerziehenden Mutter, kritisiert Bylow. Und zwar das einer Frau, "die einsam zwischen Depression und Billig-Discount vegetiert".

Von der Hartz-IV-Empfängerin bis zu Karrierefrau

Weil sich die Autorin über eine öffentliche Debatte ärgerte, in der alleinziehende Mütter nur noch als Problemfälle wahrgenommen wurden, schrieb sie ein Buch mit dem Titel "Familienstand: Alleinerziehend. Plädoyer für eine starke Lebensform".

Mehr als 30 alleinerziehende Frauen hat sie dafür interviewt. Die Lebenssituationen der Frauen sind so unterschiedlich wie die verheirateter Mütter. Sie reichen von der alleinerziehenden Mutter mit drei Kindern, die von ALG II lebt und eine Umschulung macht, bis hin zur Karrierefrau mit einem Kind, die jede Betreuung problemlos finanziert.

Auch wenn ihr Leben anstrengend sei, fühlten sich viele der getrennt lebenden Frauen zufrieden und befreit von täglichen Konflikten mit ihrem Partner. "Aber die alleinige Verantwortung für die Kinder zu tragen, empfinden alle auch als belastend", sagt Bylow. Denn wer sich als "Fels in der Brandung" sehe, nicht krank oder traurig sein dürfe, überfordere sich auf Dauer.

"Mehr Wertschätzung hätten mit gut getan"

Die Autorin verlangt daher mehr Unterstützung für Alleinerziehende. Und zwar von den Vätern und der Gesellschaft. Zwar gebe es viele Väter, die das seit der Kindschaftsreform von 1998 gesetzlich festgelegte gemeinsame Sorgerecht nach Scheidungen ernst nähmen. "Aber es gibt auch diejenigen, die ihre Kinder weder sehen noch für sie zahlen wollen." So habe der deutsche Staat 2010 eine Milliarde Euro Unterhalt gezahlt, weil Väter untergetaucht seien oder sich arm rechneten. Hier, so meint Bylow, müsse der Gesetzgeber stärker eingreifen.

Die Autorin stellt eine Reihe von Forderungen auf. Sie reichen von der Reform des Steuerrechts, das sich nicht an der Ehe, sondern an den Kindern orientieren sollte über kostenlose Kinder- und Schulbetreuungsangebote bis hin zur Einführung von Mindestlöhnen und flexiblen Arbeitszeiten für Eltern. Dinge, für die Sabine Placke mit anderen alleinerziehenden Müttern schon seit Jahren kämpft. Und zwar nicht, weil sie mit ihrem Leben unzufrieden ist. "Ich habe das Beste aus meiner Situation gemacht", sagt sie. "Aber mehr gesellschaftliche Wertschätzung und Unterstützung hätten mir gut getan."

Christina Bylow: Familienstand: Alleinerziehend, Plädoyer für eine starke Lebensform, Gütersloher Verlagshaus, 176 Seiten, 14,99 Euro.

epd