Aus dem Bundestag winkt eine grüne Zukunft
Vor acht Monaten noch überzogen sich Schwarz-Gelb und Rot-Grün mit Schimpftiraden wegen der Laufzeitverlängerung. Nun stimmen sie am Donnerstag einträchtig für den Atomausstieg. Rot-Grün feiert das als eigenen Erfolg. Die Energiewende ist ein Abenteuer mit Fragezeichen.
29.06.2011
Von Georg Ismar

28. Oktober 2010: Jürgen Trittin reiht sich in die Anti-Atom-Kette vor dem Reichstag ein. Er wettert gegen "diese Rüpelbande der Union". In flegelhafter Manier hätten CDU und CSU die Laufzeitverlängerung durchs Parlament gepeitscht, mosert der Grünen-Fraktionschef. Wenig später protestieren die Grünen im Bundestag bei der Atomabstimmung mit gelben Kreuzen, dem Zeichen des Castor-Widerstands in Gorleben. Und mit immer neuen Anträgen zu jedem der damals noch 17 Atomkraftwerke zermürben sie Union und FDP.

Gerade mal acht Monate ist das her. Recht knapp ging das Votum für Atomkraft bis mindestens 2035 damals aus: 308 zu 289. Auch bei der Regierungskoalition gab es Nein-Stimmen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schaute während der Debatte recht zerknirscht drein. Die Atmosphäre war aufgeladen, laute Zwischenrufe fielen.

Es ist interessant, was damals Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) sagte, der zwar kein allzu langes Laufzeitplus wollte, dieses im Bundestag aber inbrünstig verteidigte. "Sie sind energiepolitische Blindgänger", beschied er die Grünen und die SPD. Jene Parteien also, deren Ausstiegsbeschluss Röttgen kopiert und durch feste Abschaltdaten für jeden Meiler sogar noch verschärft hat. Und statt 17 AKW sind es heute nur noch neun. Röttgen sagte damals, SPD und Grüne schürten Ängste und schielten nur auf Wählerstimmen. Er betonte, das Energiekonzept von Union und FDP sei "eine Revolution".

Fukushima war der Anstoß für die Energie-Revolution

Doch die wahre Revolution fand erst statt, nachdem in den Reaktoren von Fukushima die Kerne schmolzen. Tiefe Gräben gerade zwischen Union und Grünen wurden eingeebnet, eine schwarz-grüne Koalition auf Bundesebene scheint nicht mehr ein Hirngespinst zu sein, wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vergangenes Jahr noch meinte.

Gegen 11.45 Uhr wird man nun am letzten Juni-Tag das schrittweise Atom-Aus bis 2022 besiegeln. "Die Arme der Sozialdemokraten werden nach oben fliegen", sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann. Denn die Kanzlerin beuge sich dann endgültig SPD und Grünen: "Das ist ein Festtag für Rot-Grün".

Angesichts des zweifelhaften Zustands der Koalition mit der FDP kommt für Merkel die Verbesserung des Klimas zu SPD und Grünen gerade recht, für neue Koalitionsoptionen nämlich. Dabei wird Rot-Grün nicht müde zu betonen, man trage den Atomkonsens zwar mit, nicht aber die aus ihrer Sicht zu wenig ambitionierten Ziele beim Ausbau der erneuerbaren Energien. SPD und Grüne fordern 40 statt 35 Prozent Ökostrom bis 2020.

Nach dem Ausstieg muss der Netzausbau kommen

Doch wird sich der Hauruck-Ausstieg als richtig erweisen? Man mag sich nicht ausmalen, was passiert, sollte es zum viel beschworenen Blackout kommen. Bürger und Industrie treibt auch die Kostenfrage um. Die von den Verbrauchern über die Stromrechnung zu zahlende Förderung der Ökoenergien schlägt 2011 mit rund 13 Milliarden Euro zu Buche.

Der Netzausbau dürfte Durchschnittshaushalte Zusatzkosten von mindestens 40 Euro pro Jahr bringen. Millionen-Entlastungen für energieintensive Betriebe und ein Milliardenprogramm für eine Gebäudesanierungsoffensive kommen hinzu. "Das wird extrem teuer", sagt Unionsfraktionsvize Michael Fuchs. Für ihn ist das Ganze alles andere als ein Jubelgrund. Röttgen hingegen preist die Chancen, Deutschland könne der Wachstumsmarkt für erneuerbaren Energien werden. Er träumt von "grün" made in Germany.

Aber keiner weiß, ob der Handlungsdruck die Lösung entscheidender Probleme bringt. Machen die Bürger bei neuen Höchstspannungsleitungen mit? Wandern Betriebe mit hohem Energieverbrauch wegen steigender Energiekosten ins Ausland ab? Was ist mit den dringend benötigten Speichern? Oder soll man, wie von Wissenschaftlern vorgeschlagen, überschüssigen Ökostrom per Seekabel zur Speicherung in norwegische Pumpspeicherkraftwerke schicken und bei Strombedarf wieder anfordern?

Es wartet der Spagat zwischen Öko und Industrie

Wind und Sonne liefern Strom nicht per Knopfdruck. Allein im Osten Deutschlands sind fast 15.000 Megawatt an Kapazität durch erneuerbare Energien installiert - und damit im Idealfall die Leistung von 12 Atommeilern. Aber an wind- und sonnenarmen Tagen werden dort zeitweise weniger als 100 Megawatt Ökostrom erzeugt, an anderen Tagen weit mehr, als verbraucht wird. Dann kann es zu der paradoxen Situation kommen, dass es Geld gibt, wenn jemand den überschüssigen Strom abnimmt.

Nach dem historisch zu nennenden Atombeschluss wartet also die Kärrnerarbeit auf die Regierung. Aber auch SPD und Grüne sind nun in der Pflicht, damit Deutschland ein Ökostromland werden und trotzdem Industrieland bleiben kann.

dpa