Krieg auf dem Acker: Maya werden wegen Zucker vertrieben
In Guatemala ist ein Kleinkrieg um Land ausgebrochen: Weil ein deutscher Fabrikant Zuckerrohr zu Geld machen will, werden bäuerliche Maya-Familien teilweise brutal vertrieben. Hintergrund der Durst nach Biosprit.
29.06.2011
Von Matthias Knecht

Mit Macheten und Gewehren gingen die etwa 30 Männer auf die Bewohner des Dorfes Agua Caliente los. Gleichzeitig bombardierten drei Hubschrauber die Maisfelder der wenigen Familien, die nach der gerichtlich verfügten Räumung des Weilers in Guatemalas Bezirk Alta Verapaz zurückgekehrt waren. Die Angreifer waren Angestellte des deutschstämmigen Zuckerfabrikanten Walter Widmann. Die Kleinbauern konnten sich retten, doch die Ernte und die Häuser wurden zerstört.

Der Menschenrechtler Enrique Corral berichtet von Vertreibungen, abgebrannten Feldern, Morddrohungen und Auftragskillern. Die Szenen, die auch auf der Internet-Plattform "youtube" dokumentiert sind, erinnern an Guatemalas Bürgerkrieg (1960-1996). Doch sie spielen sich seit März dieses Jahres im Polochic-Tal ab, 200 Kilometer nordöstlich von Guatemala-Stadt.

Deutscher Fabrikant beansprucht Land für den Zucker-Anbau

Bisherige Bilanz: 660 Familien ohne Obdach und Nahrung, drei tote Bauernführer und ein Klima der Angst. "Die Situation ist dramatisch", warnt Corral, Vorsitzender der Stiftung Guillermo Torrielos, die die Vertriebenen unterstützt.

Die heutigen Konflikte haben die selbe Ursache wie der Bürgerkrieg: die ungleiche Verteilung von Land. Nur geht es diesmal nicht um Viehweiden oder Kaffeeplantagen, denn die lohnen sich längst nicht mehr. Stattdessen explodiert in Mittelamerika der Zuckerrohranbau, angeheizt durch die weltweite Nachfrage nach Biosprit. Im Polochic-Tal sind davon 14 Siedlungen der Q'eqchi-Ureinwohner des Maya-Volkes betroffen. Deren Land beansprucht Widmann.

Der Landkonflikt schwelt schon seit Jahren. 2005 kaufte Widmann, Schwager des damaligen Präsidenten Oscar Berger, 5.000 Hektar Weideland im Polochic-Tal und pflanzte Zuckerrohr. Er versprach Aufschwung, Arbeit und Einkommen. Doch auf den Plantagen war kein Platz mehr für die Siedlungen der Kleinbauern, die von den früheren Besitzern noch geduldet wurden, weil sie ihnen als Arbeitskraft dienten.

Die Vertreibungen sind legal. Sind sie auch legitim?

Seit Mitte März verläuft der Konflikt zunehmend gewalttätig. Da räumten 800 Polizisten und Soldaten die als illegal erachteten Siedlungen. Die Kleinbauern versuchen seither immer wieder zurückzukehren. Sie wollen wenigstens den Teil der Ernte einholen, der bei den Räumungen nicht zerstört wurde. Dagegen geht der private Sicherheitsdienst Widmanns vor, der laut Zeugen dafür auch frühere Paramilitärs beschäftigt. Im Weiler El Sauce erschossen Widmanns Leute vor den Augen der anderen Familien einen widerspenstigen Kleinbauern mit 20 Schüssen.

Widmann lehnt die Verantwortung für die Morde ab. In einem Zeitungsinterview warf er den Bauernorganisationen vor, die Situation für ihre Agitation zu missbrauchen. Die Staatsanwaltschaft hat allerdings einen Haftbefehl gegen den Chef von Widmanns Sicherheitsdienst erlassen.

Die Vertriebenen fühlen sich historisch im Recht. "Die Dorfgemeinschaften haben schon immer dieses Land für ihre Aussaat genutzt", betont der Politologe Corral, der einst am Friedensvertrag Guatemalas mitarbeitete. Doch ein lokaler Richter erließ die Räumungsbefehle. "Die Vertreibungen sind legal", räumt Corral ein. "Die andere Frage ist, ob sie legitim sind." Illegal sind hingegen die brutale Art, in der die Vertreibungen vonstattengehen, sowie die vorsätzliche Zerstörung der Ernten.

Der Biosprit-Boom kann weitere Konflikte verursachen

Keine gute Figur macht dabei Guatemalas Präsident Álvaro Colom. "Die Regierung ist abwesend. Sie überlässt die Dorfgemeinschaften sich selbst", klagt Corral. "Es gibt keinerlei Pläne für die Neuansiedlung der Kleinbauern." Dabei hatte Colom noch bei seinem Amtsantritt 2008 eine "Sozialdemokratie mit Antlitz der Maya" versprochen.

Doch das Land ist bereits wieder im Wahlkampf. Im September will der konservative General Otto Perez Molina mit seiner Politik der "harten Hand" die Macht zurückgewinnen. Colom versuche deshalb zunehmend, sich gegenüber den herrschenden Unternehmerfamilien als harter Mann zu profilieren, vermutet Corral.

Die Stiftung Guillermo Torrielos und Ureinwohner-Organisationen setzten jetzt auf internationale Hilfe. Sie baten die Interamerikanische Menschenrechtskommission sowie die UN-gestützte Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala, in den Konflikt einzugreifen. Die Vereinten Nationen schickten bereits Beobachter. Doch Corral fürchtet, dass der Biosprit-Boom weitere solche Konflikte verursachen wird, und warnt vor den Konsequenzen: "Das Land in Guatemala ist heute noch ungleicher verteilt als vor dem Bürgerkrieg."

epd