"Frauenfußball ist eine Art rückwärtsgewandte Utopie"
Für ein paar Wochen sind die auf allen Kanälen präsent, auf Zeitungstitelseiten abgebildet, beliebt und bewundert: Unsere "Fußballerinas". Die Wahrnehmung des Frauenfußballs hat sich geändert - auch wenn manche Männer es immer noch befremdlich finden, wenn Frauen dem Ball nachjagen.
29.06.2011
Die Fragen stellte Anne Kampf

Warum gilt Fußball als Männersport?

Prof. Eike Emrich: Ich denke, das ist vorwiegend eine Frage der zeitlichen Dauer, also seit wann Fußball vorwiegend von Männern betrieben wurde, und der relativ kurzen Zeit, in der sich Frauen intensiv mit Fußball befassen. Es gibt, wenn man so will, einen erheblichen Vorsprung von Männern. Das zweite ist, dass hier wahrscheinlich das übliche Muster in der Betrachtung von Frauensport vorliegt, dass man nämlich den Männersport implizit als Hintergrundfolie nimmt, die Frauen davor legt und dann so eine Art Defizitmodell entwickelt am Fußball der Männer, ohne zu sehen, was Frauen vielleicht besser machen. Und drittens: Insgesamt spielen tatsächlich sehr, sehr viel weniger Frauen Fußball als Männer.

Bis 1970 hat der DFB den Frauenfußball sogar verboten. Wie kommen Männer dazu, Frauen eine Sportart zu verbieten?

Emrich: Es gab ja Zeiten in Deutschland und in der Welt, in der haben Männer den Frauen sehr viel mehr verboten. Ich denke, dass einfach in jener Zeit der Fußball noch stärker als andere Sportarten ein Männerreservat war, in dem man sich Frauen aktive Teilnehmer gar nicht vorstellen konnte. Lange Zeit hat man alles getan, um Frauen außen vor zu halten.

Es gibt die These, dass Frauenfußball eine ganz andere Sportart sei als Männerfußball. Stimmen Sie zu?

Emrich: Dieser These stimme ich nicht uneingeschränkt zu. Es ist das gleiche Spiel, das gleiche Spielfeld, die gleichen Regeln. Die Art und Weise, wie die Regeln ausgestaltet werden, die ist für Männer und Frauen teilweise durchaus different. Aus meiner Sicht spielen Frauen heute den Fußball, den Männer in der höchsten Leistungsklasse vor 20, 30 Jahren gespielt haben. Viele Männer finden ja Frauenfußball sehr attraktiv und schauen ihn sich besonders gern an. Wenn sie in die Stadien schauen, sehen sie viele zuschauende Männer. Warum ist das so? Nun, weil der Frauenfußball eine Art rückwärtsgewandte Utopie für die zuschauenden Männer ist. Frauen spielen den Fußball so, wie die Männer im mittleren Alter sich erinnern, wie sie früher mal gespielt haben, nämlich weniger am Geld und mehr an der Mannschaft orientiert als heutiger Spitzenfußball. Das ist ein interessanter zeitlicher Aspekt, aus dem sich die Attraktivität des Frauenfußballs für Männer speist.

Wenn sie sagen, die Frauen spielen heute so wie die Männer vor 20,30 Jahren, dann bedeutet das aber doch nicht, dass die Frauen schlechter spielen als die Männer, oder?

Emrich: Keineswegs. Sie spielen weder schlechter noch besser, sondern sie spielen so Fußball, wie es eben ihren Voraussetzungen entspricht. Das heißt: Frauen sind etwas weniger athletisch, etwas weniger schnell, etwas weniger stark als Männer in der gleichen Spielklasse, aber dafür sind sie flexibler. Sie haben sicherlich auch Vorteile, was Konzentrations- und Wahrnehmungsfähigkeiten betrifft, weil sie mehrere Dinge gleichzeitig besser können als Männer. Und sie sind im Zusammenwirken sehr viel stärker auf Homogenität und Ausgeglichenheit ausgerichtet als Männermannschaften. Frauen vertragen weniger Konflikte in einer Mannschaft – z. B. Statuskonflikte durch Stars. Männer ertragen solche Konflikte leichter, um zu gewinnen. Das zeigt: Frauen sind mehr auf mannschaftliche Geschlossenheit ausgerichtet und opfern gutes Miteinander nicht ohne Not dem Erfolg.

Zurzeit genießt die deutsche Frauenfußball-Nationalmannschaft - und auch die anderen - Ansehen und Aufmerksamkeit. Die WM wird in den Medien stark beachtet und es gibt große Public Viewings. Hat der Frauenfußball es geschafft, sich zu emanzipieren?

Emrich: Sich zu emanzipieren, das hat er sicherlich geschafft. Ob die Aufmerksamkeitskurve weiter so verlaufen wird wie bisher und hoch bleiben wird, das wage ich zu bezweifeln. Das ist, glaube ich, eher dem WM-Ereignis und seiner vorübergehenden medialen Verwertung geschuldet. Ich würde sagen, Frauenfußball hat in den Ländern eine größere Chance auf konstante Popularität, in denen der Männerfußball nicht besonders stark entwickelt ist. In den USA spielt man American Football, aber kein Soccer. Dort hat Frauenfußball eine große Bedeutung erlangt. Aber in Ländern, wo seit hundert Jahren Männerfußball hochorganisiert und massenhaft betrieben stattfindet, ist es eben schwierig, diesen Pioniervorsprung einzuholen.

Widerspricht das nicht der Situation in Deutschland? Wir haben ja sehr guten Männer- und Frauenfußball.

Emrich: Sportlicher Erfolg von Frauen und Männern und mediale sowie öffentliche Aufmerksamkeit hängen nicht eng zusammen. Frauen sind extrem erfolgreich, allerdings auch bei weniger internationaler Konkurrenz, aber Männerfußball absorbiert sowohl die finanziellen Mittel als auch die Aufmerksamkeit, wenn wir mal ehrlich sind, zu einem sehr großen Anteil. Der DFB macht jetzt ein Programm für den Frauenfußball, das finde ich sehr anerkennenswert, aber nach der WM wird es wahrscheinlich wieder so sein wie vorher. Der Frauenfußball wird, sobald die Fußball-Bundesliga wieder beginnt und die WM vorüber sein wird, in der Aufmerksamkeit wieder sehr stark hinter dem Männerfußball zurückstehen.

Vielleicht liegt die aktuelle Aufmerksamkeit ja auch daran, dass die Fußballerinnen in den Medien heute etwas anders dargestellt werden. Früher gab es das Klischee vom "fußballspielenden Mannweib". Heute ist es kein Widerspruch mehr, dass eine Fußballerin als sehr weiblich und hübsch dargestellt wird.

Emrich: Klar hat sich die Art der Darstellung geändert. Wenn man so will, ist sie weniger vorurteilsbelastet. Es ist ja auch absurd zu glauben, nur weil eine Frau als Sportart Fußball wählt, wäre sie nun weniger Frau als eine, die rhythmische Sportgymnastik wählt. Es gibt schlicht und einfach eine Präferenz verschiedener Frauen für verschiedene Sportarten, und das hat mit der Frage, wie weiblich die sind, wenig zu tun.

Warum gibt es Unterschiede in der Akzeptanz von homosexuellen Spielerinnen und Spielern? Bislang hatte man den Eindruck: Eine lesbische Fußballerin ist der Normalfall, aber ein schwuler Fußballer muss sich verstecken.

Emrich: Also ich bezweifle, dass das einfach so stimmt. Dass homosexuelle Fußballspieler durchaus Probleme haben in einer männerzentrierten Gemeinschaft, das mag stimmen, da kann ich aber wenig zu sagen. Aber dass im Frauenfußball sich bevorzugt Frauen wiederfinden, die gleichgeschlechtliche Neigungen hätten, das halte ich schlicht und einfach für ein Vorurteil. Das entspringt vielleicht gewissen Phantasien in der Öffentlichkeit, die auch männerzentriert sein mögen. Aber ich kann mir das ehrlich gesagt nicht vorstellen, es würde mich empirisch wundern. Es gibt auch meines Erachtens keine verlässlichen Studien darüber.

Wagen Sie denn eine Prognose, wie es sich entwickeln wird? Werden sich schwule Fußballspieler in Zukunft ohne Angst "outen" können - oder werden es auch Lesben im Fußball in Zukunft schwerer haben?

Emrich: Ich denke, das wird sich wie in der gesamten Gesellschaft auch im Fußball mit der Zeit Bahn brechen, so dass wir in naher Zukunft kein Problem mehr damit haben werden, wenn sich Spieler als homosexuell outen. In dem Punkt halte ich auch die Politik des Deutschen Fußballbundes für sehr zielführend. Sowohl was Integration betrifft, was andere Religionen betrifft und was auch möglicherweise homosexuelle Neigungen betrifft, ist der deutsche Fußballbund ein Verband, der die Gleichheit aller sehr stark betont. Das mag mit dem derzeitigen Präsidenten und seinen Vorstellungen über die Gleichheit der Menschen zu tun haben. Insofern folgt der Fußball eigentlich einem gesamtgesellschaftlichen Trend, wenn auch leicht verzögert. 


Prof. Dr. Eike Emrich lehrt an der Universität des Saarlandes Sportökonomie und Sportsoziologie. (Foto: Universität des Saarlandes)