Atomanlagen in den USA: Wie groß ist die Gefahr?
Im USA-Bundesstaat New Mexico sind es Feuersbrünste, die das Atomwaffenlabor Los Alamos zu verschlingen drohen. Gleichzeitig bedroht Hunderte von Kilometern davon entfernt im Bundesstaat Nebraska Hochwasser aus dem Missouri-Fluss zwei uralte Atomkraftwerke. Die amerikanische Öffentlichkeit scheint das aber nicht zu kratzen - "die USA sind nicht Japan", heißt es.
29.06.2011
Von Max Böhnel

Tausende wurden seit Sonntagnacht aus dem Flammenmeer in der Nähe des Atomlabors Los Alamos im Bundesstaat New Mexico zwangsevakuiert. Die bis zu 30 Meter hohen Brände näherten sich Medienangaben von Dienstagnacht zufolge dem geheimnisumwitterten riesigen Gelände, in dem unter dem Stichwort "Manhattan Project" die erste Atombombe entwickelt worden war, auf bis zu wenige Hundert Meter. Laut CNN loderten an den äußeren Ecken der Anlage etliche kleinere Feuer. Nach Angaben der Behörden ist "alles radioaktive und gefährliche Material" gesichert.

Insider mit Kenntnissen über Los Alamos sowie Kritiker und selbst Behördenvertreter ließen jedoch die Alarmglocken läuten. Der Fernsehsender ABC zitierte den ehemaligen Sicherheitsbeamten und Buchautors Glen Walp, rund 20.000 Fässer radioaktiven Mülls seien nicht weit von der Feuerbrunst entfernt in einer ungesicherten Fabrikhalle gelagert. Wenn das Feuer die entsprechenden Stellen erreicht, dann bestehe "die Gefahr eines größeren Unheils", sagte er.

Die Bürgerinitiative "Concerned Citizens for Nuclear Safety" sprach in einer Erklärung von bis zu 30.000 Fässern, die mit Plutonium kontaminiert und in einfachen Stoffzelten zum baldigen Abtransport ins südliche New Mexico gelagert worden seien. Der Sprecher der Forschungs- und Testanlage Steve Sandoval blieb auf ND-Nachfrage hin vage und wollte die Präsenz der Fässer nicht bestätigen.

Dem Feuerwehrchef stehen die Haare zu Berge

Die Anlage in Los Alamos mit ihren rund 15.000 Beschäftigten und Tausenden von bemannten und unbemannten Gebäuden wurde am Dienstag geschlossen und geräumt. Schon am Sonntag hatte der Chef der Bezirksfeuerwehr gewarnt, lang andauernde Trockenheit und extreme Windgeschwindigkeiten würden ihm "die Haare zu Berge stehen lassen".

Die Antiatomgruppe "Nuclear Watch New Mexico" wies in einer über Internet verbreiteten Erklärung darauf hin, dass neben den ungeschützten Fässern eine weitere Gefahr in den Substanzen auf den wahrscheinlich unaufgeräumten nuklearen Testgebieten um Los Alamos bestehe. Über sechs Jahrzehnte an Sprengstoffexperimenten sammele sich "so einiges an aktivem Uran und aufgebrauchtem Uran an", das die Atmosphäre zu vergiften drohe.

Im Bundesstaat Nebraska verursachte dagegen Hochwasser am Ufer des Missouri ein Riesenproblem für die Anrainer an zwei Atomkraftwerken. Seit der Fluss Anfang Juni über seine Ufer trat, wiegeln die Behörden zwar ab und pochen darauf, dass keine Gefahr bestehe. Aber auf Weisung der Betreiber sind an beiden Meilern, dem AKW Calhoun und dem AKW Cooper, Sandsäcke von Tausenden von Tonnen Gewicht aufgehäuft worden.

"Gummiwurst" um das AKW Calhoun hielt nicht

Calhoun ist darüberhinaus mit einer Art zimmerhohen Gummiwurst, die mit Wasser gefüllt wurde, umgeben. Diese Barriere ist allerdings geborsten, so dass Teile des Kraftwerksgeländes unter Wasser stehen. Als der Chef der nationalen nuklearen Regulierungsbehörde "Nuclear Regulatory Commission" am Montag einen Besuch abstattete, trug er neben dem obligatorischen Helm auch eine Schwimmweste. Obwohl er das Atomkraftwerk nur über Holzplanken über dem Besucherparkplatz erreichen konnte, gab er sich zufrieden mit der Auskunft eines Betreibersprechers, man habe "alles unter Kontrolle".

Calhoun liegt nur eine halbe Stunde Autofahrt von der Halbmillionen-Einwohner-Stadt Omaha entfernt und ist seit April wegen Wartungsarbeiten abgeschaltet. Das 1973 eröffnete AKW ist zusammen mit dem ein Jahr darauf eröffneten Kraftwerk Cooper, das 120 Kilometer davon entfernt liegt, eines der ältesten und baufälligsten in den USA. Trotzdem wurden die Laufzeiten beider auf 40 beziehungsweise 60 Jahre verlängert.

Was aber passiert, wenn in Calhoun und Cooper die Wassermassen die Kühlungssysteme außer Gefecht setzen? Solche nahe liegenden Fragen – Stichwort Fukushima – werden in den großen Medien bislang nur in Ausnahmefällen gestellt. Immerhin berichtete der TV-Sender NBC am Dienstag korrekterweise über "drei nukleare Gefahren" in den USA. Die "New York Times" setzte sich am selben Tag mit der Möglichkeit eines Super-GAU auseinander – allerdings nicht in der gedruckten Ausgabe, sondern im Umwelt-Blog. Und selbst der spielte die Gefahren unter dem Motto "die USA sind nicht Japan" herunter.


Max Böhnel arbeitet als freier Journalist in New York.