"Es kommt der Tag", 4. Juli, 22.45 Uhr im Ersten
Die langjährige Autorin Susanne Schneider ("Solo für Klarinette") ging beim Konzept für das Drehbuch ihrer zweiten Regiearbeit von einer rein akademischen Überlegung aus, die sie dann aber als sehr reale, lebensnahe Geschichte erzählt: Vor Jahrzehnten ist Terroristin Jutta nach einem missglückten Banküberfall mit Todesfolge in den Untergrund gegangen. Im Elsass hat sie sich eine neue Existenz aufgebaut. Sie heißt jetzt Judith, ist die Frau eines Winzers und hat zwei Kinder. Die Vergangenheit ist längst verdrängt, kehrt aber in Gestalt ihrer Tochter mit Macht zurück. Als kleines Kind ist Alice nach dem Verschwinden der Mutter zur Adoption freigegeben worden. Als sie durch Zufall rausfindet, wo ihre Mutter lebt, fährt sie ins Elsass: Alice will Vergeltung.
Konflikt der Generationen
"Es kommt der Tag" lebt vom Konflikt der Generationen und vom Duell zweier großer Schauspielerinnen. Trotz ihrer notorischen Prüfungsangst hat sich Iris Berben zum ersten Mal in ihrer Karriere einem Casting gestellt. Es hat sich gelohnt: Sie spielt diese für sie gänzlich untypische Rolle einer alles andere als glamourösen Frau buchstäblich ungeschminkt und sehr verletzbar. Katharina Schüttler ist ihr eine ebenbürtige Partnerin. Die eher schmächtige Schauspielerin entwickelt eine ungeheure Energie und verkörpert sehr nachvollziehbar den archaischen Zorn, der sich bei Alice über die Jahre angesammelt hat.
Trotz der diversen Auseinandersetzungen der beiden Frauen ist "Es kommt der Tag" keineswegs Kammerspiel. Einige Szenen verdanken ihre Wirkung gerade der Größe ihrer Bilder, wenn Alice beispielsweise einen ganzen Weinberg mit früheren Fahndungsbildern ihrer Mutter dekoriert. Die unstete Bildgestaltung der Innenszenen wirkt mitunter unmotiviert und entsprechend aufgesetzt, aber insgesamt hat Schneider ihren Film recht ruhig inszeniert; ihre beiden Hauptdarstellerinnen sorgen für Dynamik genug. Der Generationenkonflikt der beiden Frauen mündet in eine vor versammelter Großfamilie geführte hitzige Diskussion über das Eingangsdilemma, wenn Judith zu rechtfertigen versucht, warum sie vor dreißig Jahren Opfer bringen musste; und dass eines dieser Opfer ihre eigene Tochter war. "Es ist so verdammt einfach, die Dinge von ihrem Ende her zu betrachten", sagt sie zu Alice. Spätestens jetzt weist der Film weit über sich hinaus.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).