TV-Tipp für Samstag: "Folgeschäden" (Arte)
Was passiert, wenn der eigene Mann zum Terrorverdächtigen wird, erzählt das intelligente und sorgfältig inszenierte Beziehungsdrama von Regisseur Samir Nasr.
28.06.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Folgeschäden", 2. Juli, 22 Uhr auf Arte

In den falschen Händen hätte diese Geschichte ein schwerfälliges, didaktisches Plädoyer gegen Klischees werden können. Regisseur Samir Nasr aber hat einen Film daraus gemacht, der sein Publikum mit der Nase auf die eigenen Vorurteile stößt; bis man sie am Ende beschämt hinterfragt.

Ausgangspunkt des Drehbuches von Florian Hanig ist der vielleicht etwas fahrlässig geäußerte Verdacht des BKA, der Algerier Tariq (Mehdi Nebbou) könne in die Anschläge vom 11. September 2001 verwickelt sein. Einziger Anhaltspunkt: Er ist auf einem Videofilm zu sehen, der bei der Hochzeit eines der Drahtzieher gedreht wurde. Doch weil die Beamten Tariqs berufliches und privates Umfeld durchleuchten, bleibt natürlich etwas an ihm hängen. Als in dem Labor, in dem er arbeitet, hochgiftige Ebola-Viren verschwinden, fällt der Verdacht prompt auf ihn. Trotz der Fürsprache seines Chefs (Jürgen Hentsch wie so oft in der Rolle des väterlichen Freundes) wird ihm der weitere Zutritt zum Labor verweigert.

Unter Verdacht

Im Zentrum der Handlung aber steht Tariqs Ehe. Nasr und Hanig stellen das Paar als fröhliche Verliebte vor, in deren Leben Tariqs Religion allenfalls eine untergeordnete Rolle spielt. Der Algerier ist perfekt integriert, seine hübsche Frau Maya (Silke Bodenbender) arbeitet selbst erfolgreich als Grafikerin bei einer Zeitschrift; eine Bilderbuchehe mit Kind. Durch das Gespräch mit dem bulligen BKA-Beamten (Bernd Stegemann) sensibilisiert, fallen Maya jedoch immer mehr Ungereimtheiten auf. Sicher, Tariq war auf Einladung des örtlichen Imams bei der Hochzeit, er kannte den Bräutigam gar nicht; aber warum hat er nichts davon erzählt? Befremdet ist Maya auch über die fundamentalistischen Ansichten von Tariqs Freund Reza, die dieser widerspruchslos hinnimmt. Wirft all dies jedoch nur den Schatten eines Zweifels auf die Ehe, so wird Mayas Vertrauen erheblich erschüttert, als es zu einem Anschlag in Paris kommt. Im Abfall findet sie ein Flugticket ihres Mannes: für just diesen Tag. 

Schon mehrere Filme haben sich diese Themas angenommen und beschrieben, wie eminent politisch das vermeintlich Private werden kann. Am intensivsten gelang dies vor Elmar Fischer mit "Fremder Freund", einem "Kleinen Fernsehspiel" vom ZDF. "Grüße aus Kaschmir" (ARD) von Miguel Alexandre zeigte dagegen gewissermaßen die andere Seite: Hier wandelt sich ein Mann tatsächlich zum (potenziellen) Terroristen. Nasr aber verzichtet auf alle Thriller-Elemente; "Folgeschäden" ist ein gerade in den Details und in der Bildgestaltung (Kamera: Bernhard Jasper) sorgfältig inszeniertes reines Beziehungsdrama. Für Nasr war dies nach diversen Dokumentationen der erste fiktionale Film. Dass er dabei auf all jenen inszenatorischen Übermut verzichtet hat, der Debüts gern auszeichnet, ist dabei völlig angebracht; bei diesem Thema wäre alles andere eher deplaziert gewesen.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).