Zur Debatte stehen die "Zustimmungslösung", die "Entscheidungslösung" und die "Widerspruchslösung". Momentan gilt in Deutschland die Zustimmungslösung. Danach muss jeder, der Organe spenden will, das schon zu Lebzeiten mit einem Spenderausweis dokumentieren. Anderenfalls entscheiden die Verwandten. Diese lehnen jedoch häufig im Moment der Todesnachricht eine Spende ab. Bei der Entscheidungslösung werden alle Bürger gefragt, ob sie Organe spenden wollen oder nicht.
Bei der Widerspruchslösung gilt die Zustimmung zur Organspende nach dem Tod als erteilt, wenn man ihr nicht ausdrücklich widerspricht. Diese Lösung stößt bei CDU und SPD auf erhebliche Vorbehalte. Eine solche Regelung würde nicht dem Schutz der Würde und der Freiheit des Menschen entsprechen, sagte der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder (CDU), der Tageszeitung "Die Welt" (Mittwoch). Auch die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Malu Dreyer (SPD) lehnte eine Widerspruchslösung ab.
"Die Widerspruchslösung ist ein Vorschlag, der sehr tiefgreifende ethische Bedenken mit sich bringt und der Eingriff ins Selbstbestimmungsrecht geht wirklich sehr, sehr weit", sagte Dreyer im Südwestrundfunk. Daher sei die sogenannte Entscheidungslösung die bessere. Das nähme auch die Last von Angehörigen, nach einem plötzlichen Todesfall über Organspenden entscheiden zu müssen, wie es jetzt oft der Fall sei, unterstrich Dreyer.
Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) haben nur 17 Prozent der Bürger einen Ausweis, obwohl etwa 70 Prozent einer Organentnahme zustimmen würden. Das führe dazu, dass infrage kommende Spenden oft nicht wahrgenommen würden, sagt der Chef der Koordinierungsstelle, Günter Kirste. Jährlich warten mehr als 12.000 Menschen in Deutschland auf ein Organ - etwa ein Viertel von ihnen geht allerdings leer aus. Es ist ein Kampf gegen die Zeit, denn für viele kommt Hilfe zu spät. Jedes Jahr sterben nach Angaben des Ethikrates bundesweit etwa 1000 Patienten während der Wartezeit.
Karl Lauterbach: "Das ist eine Gewissensfrage"
Experten und Politiker machen die mehr als 13 Jahre alte Zustimmungsregelung für die Misere verantwortlich. Die Politiker Volker Kauder (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) befürworten eine Entscheidungslösung. Dabei wird jeder Bürger mindestens einmal in seinem Leben nach einer späteren Organspende gefragt. "Wer sich mit Organspenden auseinandersetzt, muss auch über den eigenen Tod nachdenken. Das tut nicht jeder gern", sagt Kauder, der ein Vorreiter für mehr Organspenden. Der überzeugte Christ gibt zu bedenken: "Mein Tod eröffnet anderen eine Chance."
Zu den erklärten Unterstützern zählt auch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Er spendete seiner Frau 2010 eine Niere und lenkte so große Aufmerksamkeit auf das Thema. FDP und Grüne signalisieren ebenfalls Zustimmung. "Ich glaube, wir haben einen breiten Konsens unter den Abgeordneten", sagt SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach. Die Parteien seien darum bemüht, das Thema aus jedem Parteienstreit heraushalten. "Das ist keine Entscheidung der Fraktion, sondern eine Gewissensfrage jedes einzelnen Abgeordneten." (Grafik links: epd-bild)
Einige Bundesländer wie Hessen und Bayern setzen auf die so genannte Widerspruchslösung. Dabei gilt jeder als Spender, solange er nicht widerspricht. diese Regelung gilt schon seit Jahren in EU-Staaten wie Spanien und Österreich. Der Deutsche Ethikrat hat sich im Jahr 2007 für eine Kombination von Erklärungs- und Widerspruchsmodell ausgesprochen: Der Staat soll die Bürger zu einer Erklärung über ihre Organspendebereitschaft auffordern. Die Zustimmung könnte zum Beispiel auf der Krankenversicherungskarte vermerkt werden.
Präses Schneider: "Gott braucht meine alten Organe nicht"
Im Todesfall soll eine Organentnahme dann erlaubt sein, wenn es keine Hinweise darauf gibt, dass der Verstorbene widersprochen hat oder dessen Angehörige nicht widersprechen. Bevor die Widerspruchsregelung in Kraft tritt, müsse die Bevölkerung ausreichend informiert werden, so der Ethikrat in seiner Stellungnahme.
Hermann Barth, der ehemalige Präsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), war bis 2010 Mitglied im Ethikrat. Er sagte, mit der Organspende könne über den Tod hinaus Nächstenliebe geübt werden. Die persönliche Entscheidung eines jeden Menschen müsse aber geachtet werden, niemand dürfe bedrängt werden. Die Widerspruchslösung schränke das Selbstbestimmungsrecht nicht ein.
[listbox:title=Infos zum Organspendeausweis[Bei der Deutschen Stiftung Organspende (DSO) ist von montags bis freitags zwischen 9 und 18 Uhr ein gebührenfreies Infotelefon geschaltet. Die Nummer lautet 0800 - 90 40 400.##Einen Organspendeausweis kann man auf der Internetseite der DSO direkt bestellen. Rechts in dem dunkelblauen Kasten auf Organspendeausweis" und dann auf "bestellen" klicken.]]
Nach Ansicht des bayerischen Landesbischofs Johannes Friedrich sollte jeder Bürger mindestens einmal im Leben gefragt werden, "ob er oder sie zur Organspende bereit ist." Er sprach sich damit für die Entscheidungslösung aus. Der Bischof äußerte sich am Dienstagabend in München beim Medienempfang seiner Landeskirche. Er sagte laut vorab verbreitetem Redetext, es dürfe keine negativen Konsequenzen haben, "wenn sich jemand nicht entscheidet oder gegen eine Organspende ausspricht." Nachdrücklich wandte Friedrich sich gegen die Widerspruchslösung. Ein fehlender Widerspruch dürfe nicht als Einverständnis zur Organspende gewertet werden, sagte der Bischof.
Der Ratsvorsitzende der EKD, Präses Nikolaus Schneider, ruft Christen dazu auf, sich einen Organspendeausweis zuzulegen. "Ich glaube, dass Gott meine alten Organe nicht braucht, wenn er mir nach dem Tod ein neues Leben schenkt", sagte der 62-Jährige. Schneider selbst besitzt einen solchen Ausweis. Er sagte weiter: "Ich kann nur sehr ermutigen, sich die Frage, ob Sie spenden würden oder nicht, ernsthaft zu stellen und zu beantworten."
Experte: Neues Gesetz ist nicht nötig
Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) sieht keine Notwendigkeit für ein neues Transplantationsgesetz. Das Problem liege nicht in der Regelung wie gespendet wird, sondern in der Organisation, sagt ihr Vorstand Prof. Günter Kirste. "Wir haben zwar die gesetzliche Verpflichtung, dass Organspender gemeldet werden müssen, aber das wird in keiner Weise verfolgt oder kontrolliert", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. "Wir brauchen mehr Verbindlichkeiten im System."
Kirste kritisierte, dass die Bundesländer ihrer Aufsichtspflicht nicht genügend nachkämen. Nur acht von ihnen hätten ein Ausführungsgesetz zum aktuellen Transplantationsgesetz erlassen. Danach müssen Krankenhäuser jeden möglichen Organspender melden. "Nachhaltig kontrolliert wird aber nirgendwo." Der Föderalismus sei in der Hinsicht wenig förderlich, betonte Kirste. "In diesem Punkt meine ich, dass der Bund eine größere Zuständigkeit bekommen sollte."
Grundsätzlich begrüßte Kirste die Anfang Juni beschlossene Einführung von Transplantationsbeauftragten. Krankenhausärzten bleibe oft keine Zeit, um mit Hinterbliebenen zu sprechen, ob die Organe des Toten gespendet werden sollen. Mit einem solchen Beauftragten sei eine Spenderrate von 75 bis 80 Prozent möglich - im Gegensatz zu einer Rate von unter 50 Prozent in Krankenhäusern, in denen es keine Beauftragten gibt. Aber: "Keiner sagt, wie die Beauftragten finanziert und von ihren anderen Aufgaben entlastet werden sollen."
Wenig Verständnis äußerte Kirste indes für das nur schleppende Engagement der Politik beim Thema Organspende in den vergangenen Jahren. "Erst seitdem es eine EU-Direktive gibt, scheint diese Dringlichkeit angekommen zu sein." Danach muss bis Mitte 2012 ein neues Transplantationsgesetz verabschiedet sein.
Vorstoß von Markus Söder stößt auf Kritik
Auch der Unions-Fraktionsvize Johannes Singhammer (CSU) wandte sich gegen den Vorstoß seines Parteikollegen und bayerischen Gesundheitsministers Markus Söder (CSU), die in Deutschland geltende Zustimmungsregelung für eine Organspende in eine Widerspruchslösung umzuwandeln. "Der Staat darf in unserem freiheitlich-demokratischen System gar nicht so stark in die Persönlichkeitsrechte eines jeden Einzelnen eingreifen", sagte Singhammer. Er forderte eine grundsätzliche Debatte darüber, wann ein Mensch tatsächlich tot ist.
"Aus der Wissenschaft kommen Zweifel, ob der Hirntod noch als Definition des Todes gelten kann", sagte Singhammer der "Berliner Zeitung" (Mittwoch). So habe 2008 der Bioethikrat der USA festgestellt, dass das Funktionieren des Körpers nicht unbedingt kurz nach Eintritt des Hirntodes aufhöre. Gegen den Vorstoß Söders wandte sich auch die Gesundheitsministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD). "Eine automatische Regelung, wie sie die Widerspruchslösung vorsieht, halte ich für nicht vermittelbar", sagte sie der "Berliner Zeitung".
Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Annette Widmann-Mauz (CDU) äußerte die Hoffnung auf eine parteiübergreifende Lösung für ein neues Gesetz zur Organspende. Es gebe bislang eine Lücke zwischen der grundsätzlichen Bereitschaft, ein Organ zu spenden, und der Bereitschaft, einen Spenderausweis mit sich zu tragen, sagte sie im Deutschlandradio Kultur. Deshalb sei es wichtig, stärker um Vertrauen zu werben und mehr Aufklärung zu betreiben.