Wird Martin Luther wieder katholisch?
Die Ökumene steht weiter vor großen Herausforderungen, aber da und dort ist sie weiter als gedacht. So ist die Verdammung Martin Luthers (1483-1546) durch die katholische Kirche längst aufgehoben. Der Reformator wird vielmehr als "Lehrer im Glauben" anerkannt. Gute Voraussetzungen für das Gespräch der Konfessionen beim bevorstehenden Deutschlandbesuch von Papst Benedikt XVI. sowie für eine ökumenische Prägung des Reformationsjubiläums 2017.
27.06.2011
Von K. Rüdiger Durth

Ist Luther, der von Papst Leo X. exkommuniziert wurde, ein "irrsinniger Häretiker", wie Papst Pius VI. noch 1791 meinte, oder aber ein "Lehrer im Glauben", wie Papst Johannes Paul II. 1980 bei seinem ersten Deutschlandbesuch gegenüber dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) betonte? Und ist der Papst für die Protestanten noch der Antichrist oder ein "vermummter und leibhaftiger Teufel", wie Luther nicht müde wurde zu betonen - oder doch der Mann, von dem die evangelische Kirche im Rahmen des Deutschlandbesuches von Papst Benedikt XVI. im September ein deutliches Zeichen hin zur Einheit der Christenheit erwartet?

Es gab nie einen Bann gegen den Reformator

Die Polemik zwischen Katholiken und Protestanten gehört der Vergangenheit an. Und die Protestanten haben längst eingesehen, dass auch der deutsche Papst Benedikt XVI. den Bann über Luther nicht aufheben kann, weil nach katholischer Lehre der Bann mit dem Tod eines Menschen endet. Freilich wurde nie ein entsprechendes offizielles Urteil gefällt (im Gegensatz etwa zu Galileo Galilei), was aber durch die römische Inquisitionsbehörde notwendig gewesen wäre, die es freilich 1520 noch nicht gab. Umgekehrt blicken die Katholiken mit gemischten Gefühlen auf das Jahr 2017, wenn die Protestanten in Erinnerung an den Thesenanschlag Martin Luthers gegen den Ablass vom 31. Oktober 1517 den 500. Jahrestag der Reformation feiern – als selbstbewusstes Fest gegen die Katholiken, bei dem das Lutherlied "Eine feste Burg ist unser Gott" wieder als protestantische Hymne zu neuen Ehren kommt?

Mitnichten, sagt der leitende Geistliche der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland (VELKD), Bayerns Landesbischof Johannes Friedrich: "Es ist mir ganz wichtig, dass nicht der Eindruck aufkommt, wir wollten dieses Jubiläum gegen die katholische Kirche feiern. Wir wollen es mit ihnen zusammen feiern." Und das Jahr 2017 scheint ihm auch passend für einen 3. Ökumenischen Kirchentag nach 2003 in Berlin und 2010 in München. Doch das sieht der für die Ökumene in der Deutschen Bischofskonferenz zuständige Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller etwas anders: "Eine eigentliche Feier im Sinne eines Reformationsjubiläums kann es für die Deutsche Bischofskonferenz nicht geben, weil die Reformation nicht losgelöst von der Spaltung der abendländischen Christenheit betrachtet werden kann."

Aber auch Bischof Müller ("Zur Ökumene gibt es keine Alternative") hat Martin Luther "und sein religiöses Reformanliegen" im Blick. Deshalb plant die Deutsche Bischofskonferenz wahrscheinlich 2014 ein wissenschaftliches Symposion in Erfurt. In der Stadt also, in der Luther zum Priester geweiht wurde. Ist die römisch-katholische Kirche dabei, den Reformator für sich zu vereinnahmen? Darum geht es nicht, sondern darum, Martin Luther aus der Ecke der Kirchenspalter herauszuholen und endlich, fern aller zeitgenössischen Polemik des 16. Jahrhunderts, sein theologisches Werk in den Mittelpunkt zu stellen.

Die Erfahrung der Abwesenheit Gottes

Für den großen katholischen Lutherforscher Otto Hermann Pesch ist das wichtigste, was Katholiken von Luther gelernt haben, dessen Anschauung vom verborgenen Gott. Martin Luther habe damit eine ganz moderne Erfahrung vorweggenommen: die Erfahrung der "Abwesenheit" Gottes in dem nach seinen eigenen Gesetzen ablaufenden Weltgeschehen: "Durch das Kreuz hat Gott klargestellt, wo wir ihn finden sollen und können: gerade indem, was ihm zu widersprechen scheint: im Kreuz und darum auch in Leiden, unter den negativen Erfahrungen des Lebens."

Der Regensburger Oberhirte Müller (Foto links: dpa) hofft, dass es im Hinblick auf das Reformationsgedenken 2017 gelingt, zu einer gemeinsamen Bewertung Martin Luthers und der Reformation zu gelangen. Immerhin wurde Luther in einem Text der Internationalen Dialogkommission von 1983 als "Zeuge Jesu Christi" und als "Lehrer im Glauben" bezeichnet. Eine Feststellung, die freilich in Teilen der römisch-katholischen Kirche nicht geteilt wird – auch wenn bereits 1940 der Mainzer Reformationshistoriker Joseph Lortz in seinem Buch "Die Reformation in Deutschland" den Ansatz vom "katholischen Luther" entwickelt hat, der heute in der entsprechenden katholischen Theologie immer mehr Zustimmung findet.

Ständige Erneuerung der Kirche

In diesem Zusammenhang erinnert Ökumenebischof Müller auch an das 2. Vatikanische Konzil, dessen 50. Jahrestag auch in Deutschland gefeiert werden soll und dessen Reformanliegen durchaus dem Anliegen Luthers entsprechen – von der zentralen Stellung des Heiligen Schrift für das Leben und die Lehre der Kirche bis hin zur Bejahung der ständigen Erneuerung der Kirche ("ecclesia semper reformanda"). Für den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Freiburgs Erzbischof Robert Zollitsch, steht nach einem Studientag zum Thema Ökumene der 70 deutschen Bischöfe vom Frühjahr 2011 fest:

"Ohne vor den Differenzen zum katholischen Glauben die Augen zu verschließen, zu denen es im Laufe der Reformation gekommen ist, kann eine Neubewertung Martin Luthers als Zeuge des Glaubens aus katholischer Sicht möglich werden, wenn das ursprüngliche Reformanliegen Martin Luthers in den Blick kommt. Nach katholischer Auffassung besteht auch auf der Ebene der Sichtbarkeit, besonders auch im Taufsakrament, noch eine Einheit der Kirche und eine sichtbare Gemeinschaft der Christen untereinander als Glieder des einen Leibes Christi, auch wenn die Communio nicht vollständig ist und auf die volle sichtbare Einheit in der sakramentalen Kirche hinzielt."

Gegen die Rede von der Eiszeit

Auch für den Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann, stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), gibt es keinen Grund, im Blick auf die Ökumene "von einem Stillstand oder gar einer Eiszeit zu sprechen": "Sicher gibt es immer wieder auch Entwicklungen, die das ökumenische Miteinander erschweren, aber sie stellen die gewachsenen ökumenischen Beziehungen grundsätzlich nicht in Frage." Gleicher Überzeugung ist Erzbischof Zollitsch: "Insgesamt ist die Situation der Ökumene in Deutschland positiv zu bewerten."

Für den katholischen Lutherforscher Pesch hat das Papsttum, wie es sich gegenwärtig darstellt, "keine ökumenische Chance im 21. Jahrhundert". Zugleich wirft er einen Blick auf die orthodoxe Kirche, die Rom theologisch am nächsten steht, aber niemals das heutige Papsttum akzeptieren würde. Aber es sei nicht auszuschließen, dass sich die römisch-katholische Kirche mit der orthodoxen einige. So schlussfolgert Pesch: In der Papstfrage führt der Weg nach Wittenberg über Konstantinopel. Und: "In Sachen Wort Gottes und Glaube sind wir Katholiken, wenn es zum Schwur kommt, alle gute Lutheraner."


K. Rüdiger Durth lebt als freier Autor in Bonn und Berlin und ist langjähriger Beobachter des politischen und kirchlichen Geschehens in Deutschland.