"Es gibt hier nur eins: Friss oder du wirst gefressen", sagt Mazlun. Achtzehn Jahre ist er alt, viermal schwerer Raub, seit drei Monaten Untersuchungshäftling in der JVA Köln. Das T-Shirt des Achtzehnjährigen spannt an den Oberarmen. "Es gibt Leute hier, die fressen alle", ergänzt Patrick, ebenfalls 18 Jahre alt. Er sitzt wegen Totschlags ein. Draußen war er Mitglied einer Straßengang, hinter Gittern geht sein Kampf um Macht und Anerkennung weiter. "Wenn ich will", sagt er, "kann ich hier jeden abziehen." Er steht mit dem Rücken zur Wand, hebt die Fäuste und sticht mit ihnen mehrmals in die Luft. Das Kruzifix um seinen Hals baumelt dabei hin und her.
Die Wände in dem kleinen Raum sind nikotingelb, es riecht nach Turnhalle. Aus einem Rekorder dringt Rapmusik. Die fünf Jugendlichen und Heranwachsenden zwischen 16 und 21 nehmen freiwillig an der Antirassismusgruppe teil, einmal in der Woche für anderthalb Stunden. Sie essen Kekse, treffen Freunde aus anderen Hafthäusern und reden über Probleme im Knastalltag. Die Antirassismusgruppe solle den jungen Straftätern die Möglichkeit geben, sich zu öffnen und mitzuteilen, erklärt Betreuer Weissenfeld. "Viele müssen erst lernen, ihren Mund aufzumachen."
Werden deutsche Häftlinge bevorzugt? - "So ein Quatsch!"
Peter Weissenfeld betreut die Gruppe seit fast drei Jahren und ist ehrenamtlicher Mitarbeiter beim "Kölner Appell gegen Rassismus". Der Verein setzt sich für Flüchtlinge und Migranten ein, berät bei Asylfragen oder hilft ausländischen Kindern bei den Hausaufgaben. Und gründete bereits in den 90er-Jahren die Antirassismusgruppe dort, wo Menschen mit ausländischen Wurzeln in der Mehrheit sind: im Jugendbereich des Kölner Gefängnisses. Damals waren zeitweise bis zu 80 Prozent der jungen Häftlinge hier keine deutschen Staatsbürger. Auch heute haben in Köln fast drei Viertel der rund 100 inhaftierten Jugendlichen und Heranwachsenden einen Migrationshintergrund.
[listbox:title=Zahlen und Fakten[6184 Personen verbüßen in Deutschland eine Jugendstrafe: 640 im Alter von 14 bis 18, 3075 im Alter von 18 bis 21 und 2469, die bereits über 21 sind, zum Tatzeitpunkt aber strafrechtlich noch keine Erwachsenen waren. 205 der Häftlinge in Jugendhaft sind weiblich.##In Nordrhein-Westfalen sitzen 1489 Personen eine Jugendstrafe ab. Damit ist das bevölkerungsreichste Bundesland Spitzenreiter in Deutschland.##68,6 Prozent der Straftäter, die zu einer Jugendstrafe ohne Bewährung verurteilt wurden, werden innerhalb von drei Jahren rückfällig.]]
Aslan (Name geändert) fährt mit einer Hand über den dünnen Flaum, der sein Kinn bedeckt, und kommt ins Erzählen. Er überstehe die Zeit im Knast nur, weil er gelegentlich ein paar "Geschäfte" mache, also Marihuana an seine Mithäftlinge verkaufe, sagt der 16-Jährige, der hier in U-Haft sitzt. Den Stoff brächten Freunde oder Freunde von Mithäftlingen manchmal mit. Er selber raucht das Zeug ebenfalls, ist hinter Gittern von seiner Rauschgiftsucht eingeholt worden.
Aslan findet, dass Ausländer im Gefängnis Nachteile hätten. Die Beamten würden deutsche Häftlinge bevorzugen, sie weniger hart bestrafen oder ihnen früher den Besitz eines Fernsehers erlauben. Tim (Name geändert), der einzige in der Gruppe ohne Migrationshintergrund, findet das nicht. "So ein Quatsch!", sagt er energisch. Das ist Wasser auf Aslans Mühlen. "Alle Deutschen haben Vorurteile gegenüber Ausländern", legt er nach. Mazlun meint, dass die meisten Ausländer die Deutschen auch nicht mögen würden. So oder so - er will jedenfalls, sobald er aus dem Knast raus ist, Deutscher werden.
"Der Jugendstrafvollzug scheitert an seinem pädagogischen Auftrag"
Ob er seinen Weg macht, wird davon nicht abhängen. Die Perspektiven sind – statistisch gesehen – nicht gut: Nach einer Studie des Bundesjustizministeriums begeht weit über die Hälfte der Jugendlichen, die zu einer Jugendstrafe ohne Bewährung verurteilt wurden, in den ersten drei Jahren nach ihrer Entlassung erneut eine Straftat. Mit Blick auf diese hohe Rückfallquote fordert Klaus Jünschke vom Kölner Appell, der die Betreuer der Antirassismusgruppe anleitet, die Abschaffung des Jugendstrafvollzugs. Der ehemalige RAF-Terrorist war an einem Banküberfall beteiligt und bis zu seiner Begnadigung über zehn Jahre im Gefängnis, davon sieben in Einzelhaft. "Aufgrund meines Lebenslaufs bin ich Experte. Das Gefängnis hat mir nicht gut getan", sagt der 63-Jährige.
Foto links: Häftling in seiner Zelle in der JVA Köln (epd-bild / Guido Schiefer)
Auch jungen Straftätern schade die Zeit hinter Gittern. "Sie werden im Knast vor allem sich selbst und der Langeweile überlassen. Der Jugendstrafvollzug scheitert an seinem pädagogischen Auftrag", fährt Jünschke fort. Alternativen seien betreute Wohngruppen oder der so genannte Täter-Opfer-Ausgleich. Dabei sitzen Täter und Opfer freiwillig an einem Tisch und sprechen unter Aufsicht eines neutralen Vermittlers über Schuld, Scham und Wut nach der Tat. Das Verfahren ist gesetzlich verankert und wird schon heute im Jugendstrafrecht angewendet. Ziel ist, dass Täter und Opfer ihren Konflikt außerhalb des Gerichts beilegen.
Strafe für Schlägereien: 23 Stunden in der Zelle
Die Verantwortlichen in der JVA Köln halten nichts von Jünschkes Ideen. "Das Gefängnis muss irgendwann her, die Jugendlichen haben schon einiges auf dem Kerbholz", sagt Werner Baumgarten. Er ist als Jugendbereichsleiter für Mazlun, Patrick und die anderen jungen Untersuchungshäftlinge zuständig. Viele Jugendlichen, erzählt er, lernten erst im Gefängnisse Werte wie Disziplin und Zuverlässigkeit kennen. "Außerdem müssen wir die Gesellschaft vor jungen Gewalttätern schützen."
In der JVA kümmert sich Baumgarten darum, wie der Vollzug der jungen Straftäter ausgestaltet ist. Die Jugendlichen können zum Beispiel Schulabschlüsse nachholen. Sind sie dazu nicht bereit oder nach Meinung der Gefängnisleitung nicht geeignet, mähen sie Rasen oder lernen den Umgang mit Holz und Metall. Auch über Disziplinarmaßnahmen entscheiden Baumgarten und die JVA-Beamten. Bei Schlägereien droht zum Beispiel die Freizeitsperre: 23 Stunden am Stück in der Zelle – ohne Außenkontakt, ohne Fernseher.
Das passt gar nicht zu den Wünschen der Jugendlichen von der Antirassismusgruppe in punkto Vollzug. Mehr Sportmöglichkeiten hätte Patrick gerne. Aslan träumt von einer Badewanne. Tim wäre froh, wenn seine Eltern ihm mehr Klamotten von zu Hause mitbringen dürften. Aber eins wollen sie alle: Dass die Türen ihrer Acht-Quadratmeter-Zellen den ganzen Tag offen stehen.
Stephan Degenhardt studiert an der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft.